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Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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Unterhaltung mit Elementen und Gestirnen schwärmen – doch in Wahrheit dünkte sich jeder viel zu vernünftig, um für so etwas mehr als ein Lächeln übrig zu haben. Die Oberrotweiler Eiche? Gewiss, sie war ein besonderer Baum, aber mehr als ein belebtes Etwas war sie nicht. Nur Sonderlinge und einige wenige Alte faselten von ihrer Seele, dieselben, die dieses höchste Gut des Menschen schon Hunden, Katzen und Pferden zugestanden.
    Und doch: Der Oberrotweiler Eichbaum führte einen stillen Kampf gegen die wachsende Fäulnis in ihrem Leib. Vergiftetes Wasser pumpte der Stamm in seine Krone, lähmte damit den Mut von Zweigen und Ästen, nahm ihnen den Genuss am Licht. Zuerst noch hatte das Holz dem inneren Verfall getrotzt, aber über die Jahre breitete sich doch Schwäche aus. Unmerklich schrumpften und weichten die Blätter, verlor die Härte des Stamms an erzener Kraft. Keine Menschenseele nahm es wahr, denn der Stolz des Baumes, sein Wille, war ungebrochen. In andere Dimensionen schien er auszugreifen und darauf zu warten, dass jemand den durch Jahrhunderte hindurch in seinen Ringen eingeschriebenen Plan erfüllen half.
    2
    Obwohl die Luft am diesem Septembernachmittag mild war, durchschauerte Barbara ein Frösteln. Irgendetwas Abweisendes strömte aus dem Schatten auf sie zu, ganz anders als vor einem Monat, kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag. Da hatte sie, es war der Tag nach Maria Himmelfahrt gewesen, auf dem gleichen bemoosten Eichentrümmer gesessen und sich mit einem flüchtigen Kuss dem Holländer versprochen – im lauschigen Schatten, über den sich verführerisch das Rauschen der Blätter wölbte. Jetzt wollten sie in vier Tagen Hochzeit halten. Aber auf einmal kam es Barbara vor, als wäre es nicht ihr Zukünftiger, der sympathische aber schon etwas ältliche Holzhändler gewesen, der sie hier umworben hatte, sondern dieser majestätische Eichbaum.
    Eine ungewöhnliche Stille lastete unter der Krone, die wie eine riesige Glocke all die heiteren Hochzeitsgedanken unter sich begrub. Aber dieses Abweisende besaß auch etwas Fesselndes und je länger Barbara auf ihrem Eichentrümmer saß, umso eher vergaß sie, dass außerhalb des Schattens ein sonniger und unbeschwerter blauer Himmel auf sie wartete. Dafür loderte plötzlich der Wunsch in ihr auf, er müsste sprechen können, dieser Baum! Ihr von den Weltläuften erzählen und Auskunft geben über ihr Schicksal! Ohne Aufbegehren der Vernunft bildete Barbara sich ein, der Eichbaum verweigere sich ihr – eifersüchtig und verletzt, weil ihm die Ehe mit einem Holzhändler nur grobe Beleidigung sein konnte. Denn hatte der nicht gescherzt, die Trümmer dieses Baumgiganten, die nur ein titanischer Blitz aus der Krone gebrochen haben konnte, wären ein gutes Handgeld wert? Als Brautpfand zwar wenig geeignet, doch immer noch so kostbar wie der schlichte Ring, den sie jetzt am Finger trug.
    Aber hatte sie als Findelkind, das gerade seinen Tauftag kannte, denn eine andere Wahl? Hätte sie ihr Leben bei den Nonnen beschließen sollen? War dieser reiche Holländer nicht geradezu ein Geschenk? Für sie, die so lebenshungrig war, dass sich die Nonnen beklagten, sie halte sich wie eine vom schändlichen Gewerbe, weil sie fremde Burschen anzüglich anblickte? Unwillkürlich stand Barbara das Bild des jungen Rebbauern vor Augen, der sie vorhin mit einer strohigen Vogelscheuche und Drehknarre unter dem Arm angelacht hatte. Ein Bild von einem Mann, gegen den das Versprechen des Holländers, sie glücklich zu machen, einen wässrigen Beigeschmack bekam.
    Barbara fühlte sich wie entmündigt von dem Schweigen, das sich, wie ihr schien, ins Unwirkliche gesteigert hatte. Von ihrem Trümmer weg zog es sie zum ehernen Stamm, in der Hoffnung, mit ein wenig Bewegung das Frösteln abzuschütteln. Langsam schritt sie um ihn herum, und dabei kam es ihr immer natürlicher vor, die Eiche wie einen väterlichen Freund anzusprechen. Sie bat um Nachsicht, flüsterte Entschuldigungen und klopfte sanft auf die Borke, als wollte sie ihren Worten mit dieser freundschaftlichen Geste Nachdruck verleihen. Gedankenverloren blickte sie in die Krone, währenddessen sie fast unbewusst begann, den Baum zu streicheln. Eine seltsame Intensität strömte dabei aus der dunklen Tiefe seines Panzers in ihre Hand, ein wohliges Gefühl, dass alles Frösteln vertrieb. Neugierig geworden tasteten sich ihre Finger vorsichtig in die Spalten zwischen den trockenen Rippen, die ihr immer wärmer zu werden

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