Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
leben zu müssen.
20
Das Jahr 1771 verschonte Barbara von aufregenden Ereignissen. Gelassen zog es mit seinen Monaten vorüber und ließ ihr alle Musse, die sie zur Herstellung ihres Mousseux brauchte. Von ihrem Champagnerbrevier hatte sie eine Abschrift für den Eichberger Keller angefertigt, für den Fall, dass ihr im Eifer des Experimentierens einmal eine der Ruinart’schen Regeln entfallen könnte. Aber, Barbara erinnerte sich nur zu oft an die beiden Sätze von Monsieur Ruinart: »Das Handwerk ist der geringste Teil. Auf den Grundwein kommt es an und darauf, wie er mit anderen Weinen verschnitten wird.«
Wie ein Jongleur arbeitet der Champenois! Immer das Ganze muss er vor Augen haben. Die einzelnen, zum Verschnitt ausgesuchten Weine gleichen dabei den verschiedenen großen und bunten Bällen. Wie diese mit behutsamer und genau berechneter Kraft geworfen werden müssen, damit sich die Figur harmonisch zwischen den Händen aufbauen kann, hat der Champenois mit seinen Weinen zu hantieren. Deren Säure und Schwere, Duft und Geschmack, Flüchtigkeit und Farbe, Spritzigkeit und Finesse müssen beim Verschneiden gleichsam einen neuen Wein auf einer höheren Stufe ergeben. Wobei immer mitzubedenken ist, welchen Charakter diese Cuvée nach der zweiten Gärung und Reifezeit in der Flasche ausbilden wird. Darin liegt alles Geheimnis. Denn ungezogenen, schlafenden Kindern ähneln die Verschnittweine vor der zweiten Gärung. Dann, nach den Wochen des erneuten Tobens, hat sich vielleicht aus einem wildweinigen Racker ein friedlicher Bursche entwickelt. Und umgekehrt kann es möglich sein, dass sich ein eher kümmerlicher Hänfling zur majestätischen Natur gewandelt hat, dessen mit einemmal wuchtiger Körper von den anderen ausgetobten Spielgefährten anständig eingekleidet werden muss, damit er im Verbund des neuen Geschmacks nicht beleidigend wirkt.
Barbara war dies natürlich alles bewusst, doch es half ihr wenig, als sie ab Mitte Februar begann, an ihrem Elbling, Räuschling und Weißburgunder herumzuschnüffeln und neue Verkostungen vorzunehmen. Drei Abende hintereinander tanzte sie mit trügerisch lustigem Schritt und glubschigen Augen an der Burkheimer Torwache vorbei, giftete eine Stunde später über das Prinzip des Verschneidens überhaupt und weinte sich dann erschöpft bei Riecke aus. Sie konnte sich einfach nicht entscheiden. Ihr 1770er Elbling, Räuschling und Weißburgunder blieb ein 1770er. Und dies hieß einzig und allein, dass sie, Barbara van Bergen, die Kaiserstühler Quasi-Champenoise, nicht, wie es jeder echte Champenois gewöhnlich tat, verschiedene Jahrgänge miteinander verschneiden konnte. Da nützte alle Einbildung, alles Zurechtreden etwa nach der Art, den guten Weißburgunder als 68er zu qualifizieren und den Räuschling als 69er, nichts und wieder nichts. Alte Jahrgänge waren nicht in die Fässer zu zaubern, und die Unruhe ihrer ersten Weine war weder wegzuriechen noch totzutrinken. Ihr blieb also nur das heikle Vergnügen, gleich die Meisterkomposition eines Jahrgangs-Mousseux’ anzugehen, ein Unterfangen, bei dem das Lesegut von bedingungsloser Extraklasse sein muss, siehe ihr Brevier Seite drei, Regel vier: »Von den Trauben«.
Erst am vierten Tag kam sie wieder nüchtern nach Haus. Mit kalt` Blut und Bedachtsamkeit sei sie diesmal ans Werk gegangen, erzählte sie Riecke selbstbewusst. Zur besten Probierzeit des Tages, also eine Stunde vor dem Mittagessen, habe sich plötzlich alles wie von selbst ergeben. Ihr Fehler sei gewesen, zuviel auf den Weißburgunder gesetzt zu haben. Fünf Teile Elbling mit zwei Teilen Räuschling zu verschneiden, sei der Durchbruch gewesen. Diese dünnweinige, aber genug säurehaltige Cuvée habe dann förmlich nach den drei Teilen Weißburgunder geschrien. Jetzt habe alles Stabilität, ohne dass die nötigen Reibungen eingeebnet worden seien. Die zweite Gärung würde die Kraft des Weißburgunders zähmen und sie gewissermaßen dem Elbling verzinsen. Wie sich der Räuschling verhalte, bliebe das größte Geheimnis. Entweder verbrenne er wie loses Schwarzpulver, oder er gleiche die Gegensätze aus. Auf jeden Fall fordere diese Cuvée einen guten Zucker, um die Mousse, das Schäumen, anzuschieben. Morgen und übermorgen würde sie aber noch kräftig verrühren müssen, dann stünden erst einmal drei Wochen Absetzzeit bevor. Erst wenn der Verschnitt vollkommen klar sei, könne sie damit anfangen, ihn auf die Flaschen zu bringen.
Von solcherlei Sorgen in
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