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Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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so brech’ ich dir was von deinem stolzen Holz ab. Bin ich doch ein unerschrock’ner Spielmann. Aus deinem Holz will ich mir eine Flöte schnitzen. Und dann wirst du sehen, wie lustig ich mich über dich mache.’«
    Barbara hatte Mühe, die restliche Hälfte des Weins gerecht zu verteilen. Zu aufgewühlt war sie, weil dieses Märchen sie auf geheimnisvolle Art berührte. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihren Eichbaum und Meister Jonathans Fässer. Und der Traum des Spielmanns, woran lag es, dass er ihr so bekannt vorkam?
    »Ohne den Ruländer, Madame van Bergen, würd’s nicht so gut laufen.« Johanna prostete ihr zu und gönnte sich zwei große Schlucke. »Also, als die Flöte dann fertig war und der Spielmann sie ang’setzt hatt’, da klang’s nicht lustig, sondern ganz traurig. Und die Singweis’ hat erzählt: ‘Ach Spielmann, o weh, so muss ich’s klagen, um ein schönfarbig Blümlein hat mich mein Bruder erschlagen. Ach Spielmann, o weh um meinen jungen Leib, heut freit mein Bruder ‘s wonnig Weib’. Der Spielmann hat sich dann, wie die anderen Musikanten, beim Hofmeister gemeldet. Natürlich nachdem er aufs Schloss rauf ist, wo alle Gäste bereits an der prächtigen Hochzeitstafel gesessen sind. Da waren alle fröhlich, haben es sich gut sein lassen. Nur der Bräutigam saß verstimmt neben der schönen Prinzessin und hat vor sich hingeflucht.«
    »Ja, und dann, als der Spielmann mit seiner Flöte aufgespielt hat«, ließ sich Elisa vernehmen, »da klang es wieder ganz traurig, und die Singweis’ mit ihrem Vers ist allen Gästen ins Gemüt gefahren …«
    »… was den Bräutigam furchtbar wütend gemacht hat«, fuhr Johanna ruhig fort. »Auf den Spielmann ist er los, reisst ihm die Flöte weg und setzt sie sich selbst an den Mund. Und da klang’s dann: ‘Ach Bruder, lieber Bruder mein, du hast mich ja erschlagen, nun spielst auf Rosenholz die Totenweis’, die ewig ich werd’ klagen. Ach Bruder, lieber Bruder mein, du hast mein junges Leben für ein schönfarbig Blümelein frevlig hingegeben.’«
    »Da schlug ein Blitz ein, und tot umgefallen sind nach einem gräulichen Donnerschlag die Prinzessin und ihr Bräutigam. Wer nicht rechtzeitig geflohen ist, den begrub das einstürzende Schloss unter sich. Und noch heute kann man in Burgund in der Ruine Soundso bei Gewittersturm dies klagende Liedchen hören, wenn man seine Ohren spitzt.«
    Barbara setzte diesen passenden Schluss hinzu und leerte ihren Becher. Elisa bot Johanna ihren Rest an, was diese sich nicht zweimal sagen ließ. Zufrieden mit sich lachten sie über Barbaras Schluss, der dem ihres Schulbasti ziemlich ähnlich war. An die Ruine in Burgund, meinten sie, könnten sie sich zwar nicht erinnern, aber beruhigender sei Madames Schluss allemal – weit weg sei besser als die Ruinen vom Hochberg oder der Sponeck.
    Nach einem Viertelstündchen winkte Barbara dem Wirt, zahlte und versprach, wieder einmal vorbeizuschauen. Zu dritt brachen sie auf, die beiden Mägde nach Bischoffingen ins Nachbardorf, Barbara zum Eichberg.
    18
    Eigentlich wollte sie in ihrem Keller nach dem Rechten schauen, aber der im Hals kratzende Tabakrauch trieb sie gleich zu ihren Reben, wo sie sich als Nachtisch die wenigen zuckersüßen Beeren pflückte, die noch von der Nachlese übriggeblieben waren. In Gedanken an das Märchen setzte sie sich auf einen der Baumtrümmer und starrte auf die Wunde, die der Blitz ihrem Grenzwächter geschlagen hatte. Die Schnitzers hatten ihren Anteil längst abgeholt, vom van Bergenschen Holz lagen noch einige Stücke und Brocken herum. Bald würden auch sie fortgeschafft sein, denn so ziemlich jede Nacht kam einer von den Bloßhäuslern und bediente sich an dem wohlfeilen Holz. Barbara ließ es gern geschehen, wusste sie ja, dass die edelsten Teile bei Meister Jonathan lagerten.
    Die Nässe zwang sie bald wieder zum Aufstehen. Leise seufzte sie vor sich hin, während sie über den dichten Laubteppich schritt. Zeitig hatte der Baum dieses Jahr begonnen, seine Blätter abzustoßen, zu früh für eine Eiche, zumal für eine gesunde. Beim jedem Luftzug regnete es bunt vom Himmel, kraftlos standen die dunklen Äste, in die sich die Nässe schwarz eingegraben hatte. Die Krone hatte sich in dumpfen Modergeruch gehüllt, und jeder Tropfen, der sich von Zweigen und Blättern löste, kam Barbara vor wie eine hoffnungslose Träne.
    » Mon chevalier de chêne , Ihr weint?«, fragte Barbara betroffen und streichelte den Stamm. »Aber kann ich Euch

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