Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
sie sei. Barbara bedankte sich gerührt mit einem Kuss. Dass er ihr keinen Antrag gemacht hatte, rechnete sie ihm hoch an. Sie schieden in trauter Freundschaft. Barbara war äußerst zufrieden. Bernward war ein wahrer Freund, ihn kennengelernt zu haben, dies würde sie Cees nie vergessen.
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Dass sie unter anderen Umständen Ehre und Anstand durchaus gegen kurzlebige Sinnenlust einzutauschen bereit war, dafür war der erste Sonntag im Mai ein unrühmliches Beispiel. Abends war sie, aus einer einfachen und wohl auch berechnenden Laune Bernhards heraus, von ihm in ihrem Keller überrascht worden. Zuerst hatten sie, ohne viel miteinander zu reden, Weine verkostet, dann begann Bernhard von einer gerade unglücklichen Liebe zu einer Bauerstochter zu erzählen. Barbara ahnte, worauf dies hinauslaufen könnte, fand aber Vergnügen daran, mit dem Feuer zu spielen. Obwohl sie natürlich kein Wort glaubte, begann sie, den Unglücklichen zu trösten, schaute mitleidig, streichelte ihm Hände und Wangen. So lange, bis er sie schließlich umarmte und sich mit einem Kuss bei ihr bedankte. Ein Kuss, der jedoch nichts anderes bedeutete als den Auftakt eines sinnlichen Vorspiels.
Dabei verhielt sich Barbara allerdings alles andere als untätig und unschuldig. Sie küsste, als ob sie die Lust der vergangenen Monate zurückfordern wollte. Und sie überraschte Bernhard mit Finessen, die ihm seine Mägde vielleicht mit ihren Blicken versprochen hatten, im Stroh oder ihrer Bettkiste aber nie einlösten. Die Lektionen ihres französischen Anonymus, an denen Cees so wenig Gefallen gefunden hatte, schmeckten Bernhard ausgezeichnet, aber unbarmherzig forderte Barbara jede ihrer Bemühungen zurück. Und Bernhard lernte, dass die Kraft der Männer dem Wollen der Frauen hoffnungslos unterlegen ist.
Dem Rausch folgte die Ernüchterung. Barbara hatte ein schlechtes Gewissen und redete sich ein, Bernward hintergangen zu haben. Dazu litt sie einen Monat unter der Angst, einer ungewollten Schwangerschaft entgegenzusehen. Bernhard war dagegen enttäuscht, dass seine Madame van Bergen sich auf keine weiteren Abenteuer einlassen wollte. Als sie ihm frank und frei erklärte, sie habe wohl ihn erobert und nicht umgekehrt, fühlte er sich getroffen. Das erste Mal in seinem Leben machte er Bekanntschaft mit der Eifersucht. Barbara machte es sich einfach. Gut Freund werde man ja hoffentlich bleiben, aber jetzt müsse ein Schlussstrich gezogen werden. So aufregend und befriedigend sie die beiden Male empfunden habe, Rechte hätte er, Bernhard Schnitzer, daraus nicht abzuleiten.
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Verglichen mit dem letzten Jahr war der Frühling insgesamt gesehen nass. Auf die wenigen warmen und sonnigen Ostertage folgte eine Periode launischen Wetters mit Regen und Graupeln. Zwischendrin eine Sonne, die in der klaren, durchgewaschenen Luft zustach, als wollte sie mit ihren Strahlen den Boden pflügen. Wie alle Winzer zitterte und betete Barbara, dass der Nachtfrost auf der anderen Seite des Rheins, in den Vogesen, hängen bleiben würde, aber zweimal setzte er dennoch über. Doch die inbrünstigen Gebete zu St. Urban und St. Johannes waren nicht vergeblich. Die Weinheiligen breiteten ihre Schutzmäntel über die Reben, und nur da, wo die Zipfel ein bisschen verrutschten oder der Frost durch ein Knopfloch schlüpfen konnte, erfroren einige der ausgetriebenen Schosse und verrieselten wenige Blüten. Deswegen wurde entschieden, den 25. Mai, den Jahrestag des St. Urban, dieses Mal besonders groß auszurichten. Die Prozessionen in die Reben sollten festlicher ausfallen als sonst, denn wieder einmal habe sich gegen alle modernen Anschauungen gezeigt, nur der Segen des Himmels garantiert das gute Gedeihen der Weinstöcke.
Das Falgen des Bodens und das Anheften der Schosse war bis in den Mai hinein eine auszehrende Schafferei, die der Gesundheit zusetzte. Am letzten Apriltag wetterte sogar ein Hagelschauer über die Rheinebene, den Barbara vom Eichberg aus über Burkheim in Richtung Nordosten nach Sasbach weiterziehen sah. Immerhin hatte er noch soviel Kraft, dass er im äußersten Westen des Kaiserstuhls kleine Rebschäden verursachte. Zum Glück nicht mehr. Aber jeder Winzer erinnerte sich mit Grausen an den April vor zehn Jahren, als der Hagel mit verheerender Wucht Blüten und Dachziegel zerschmettert hatte, so dass keine einzige Beere geherbstet werden konnte. Die Preise hatten sich daraufhin verfünffacht, und in viele Rebbauernfamilien war der Hunger
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