Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
denn helfen?«
Sie legte ihre Wange auf die klaffende Wunde und küsste einen verbrannten Fleck. Ein Blatt fiel ihr auf den Kopf, und ein Tropfen netzte ihre Lippen. Aber er schmeckte nicht wie eine Träne, nicht salzig, nicht bitter. Barbara schaute in die lichte Krone und ein Frösteln floss ihr über den Rücken. Der Tropfen – schmeckte er nicht nach Blut?
19
Kurz vor Weihnachten war es soweit. Der neue Wein konnte von der Hefe genommen werden. Klar war er jetzt, alle Schwebteilchen hatten sich am Fassboden abgesetzt. Stundenlang verkostete Barbara mit Riecke ihre vier Sorten: den einfachen, leichten Elbling, den besseren Räuschling, den schweren Ruländer und den edlen Weißburgunder.
Vor einem Monat war der Ohmgelder dagewesen, hatte den Zehnten festgelegt, natürlich von den guten Sorten, also Ruländer und Weißburgunder, und ihr das Lagergeld großzügig auf zehn Ohm taxiert, bei einer tatsächlichen Menge von neun Ohm zwar ein obrigkeitlicher Willkürakt, aber Barbara war’s zufrieden. Hatte sie doch auf elf Ohm geschätzt. Bis Fasnacht habe sie zu liefern, bis März zu zahlen, ansonsten wünsche er gutes Gelingen. An Einblick hatte sie es an diesem Tag nicht fehlen lassen, doch den Beamten interessierten nur ihre Fässer. Ob sie ihm tief in die Augen schaute, zu scherzen versuchte oder sich gar vor ihm bückte, der Ohmgelder war eins von Gottes Geschöpfen, das den Eros allein in den Amtsgeschäften erblickte. Freundlich stellte er seine Fragen, stocherte wie beiläufig in den Fässern und malte gründlich in seinen Papieren. Fixierte wohl auch einmal ihren Busen, aber sicher nur deshalb, weil er argwöhnte, in ihm könnte ein Eimerchen Wein versteckt worden sein. Barbara grübelte anfangs, ob dieser gewissenhafte Diener der Obrigkeit vielleicht zur Gruppe der Sonnenjünglinge zu zählen sei, aber angesichts seiner schuppigen Glatze, des Eherings und der muffigen altfränkischen Mode war die naheliegendste Antwort die einzig richtige. Jedoch, wie ungerecht, die Strafe für ihren erfolglosen und wenig schicklichen Bestechungsversuch samt Verdächtigung ließ nicht auf sich warten. Eine Verkühlung lieferte sie zehn Tage lang Rieckes Tees aus, und erst in der letzten Novemberwoche schmeckte sie wieder, ob Wein oder Most in ihrem Becher war.
Die Menge von insgesamt neun Ohm sei weniger, als sie geschätzt hätte, gab Barbara zu, dafür entschädige aber die gute Qualität. Selbst der flache Elbling sei ungewöhnlich kräftig, und was er verspreche, hielte der Weißburgunder gleich dreifach. Ihn allerdings schon nach Weihnachten auf die Flaschen zu ziehen, wäre allerdings eine Sünde. Ein Jahr Zeit müsste man ihm mindestens geben, sonst käme seine Blume nicht zur Entfaltung. Auch dem Räuschling würde ein Jahr kaum schaden, allerdings auch nicht mehr, denn die Gefahr, dass er im Fass zusammenbräche und auslauge, wäre groß, vor allem, wenn man es mit einem so zwittrigen Wein wie diesem zu tun hätte.
Barbara war in ihrem Element. Riecke wusste bald nicht mehr, wo ihr der Kopf stand, so redete ihre Madame auf sie ein. Im Überschwang stellte Barbara immer neue Berechnungen an. Einmal entschied sie sich, drei Viertel vom Elbling und ein Viertel vom Weißburgunder auf Flaschen zu ziehen, dann wieder wollte sie, um genug Grundwein für den Verschnitt vorrätig zu haben, zwei Drittel vom Elbling im Fass lassen. Eine neue Variante war der Einfall, für die ersten Mousseux-Versuche lieber mit dem Räuschling zu experimentieren, als dafür den kostbaren Weißburgunder zu opfern. Schließlich spielte sie neben einem Dutzend anderen Möglichkeiten mit dem Gedanken, bei den Schnitzers allen Elbling für ein Drittel Gutedel einzutauschen. Nur beim Ruländer war sie sich sicher. Er war so duftig und gehaltvoll, dass er für einen Verschnitt nicht in Frage kam. Ihn galt es zu beobachten, zwei, drei Jahre im Fass zu halten, dann abzufüllen. Denn dieser Wein, da bestand kaum Zweifel, würde Geld bringen.
Riecke war es, die, nachdem Barbara mit weinfeuchtem Kopf, glasigem Blick und schriller Stimme erschöpft auf ihrem Fasshocker zusammengesunken war, den einfachen Vorschlag machte, von den drei zum Verschneiden gebrauchten Weinen jeweils ein Drittel auf dem Fass zu lassen. Im Kopf lasse sich ihr Vorhaben wohl kaum lösen. Erfahrung sei nicht durch Nachdenken zu ersetzen. Stehe sie doch ganz am Anfang, und schließlich sei sie ja nicht dazu verdammt, die nächsten fünf Jahre von ihrem Wein oder Vin mousseux
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