Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
Vom Netzwerk:
zurückgekehrt.
    Den Tag vor Barbaras amourösem Kellererlebnis war urplötzlich der Sommer eingezogen. Für sie ein verheißungsvolles Zeichen, weil in derselben Woche auch die zweite Gärung zu Ende ging. Keine ihrer Flaschen war explodiert, der beste Beweis, dass ihr Likörgemisch nicht zu zuckerig gewesen sein konnte. Denn dies war die Hauptschwierigkeit. Bei zuviel Süßzusatz in die Cuvée kam es zum Platzen der Flaschen oder Bersten der Verschlüsse, bei zu wenig blieb die innige Vermischung der Weine aus. Und natürlich entstand dann auch keine befriedigende Mousse, statt des belebenden Schäumens nur ein schwaches Gebizzel. Monsieur Ruinart hatte sie damals mit der Frage verblüfft, ob nach Zugabe des Gärlikörs die Flaschen im Regal ruhig liegen sollten, oder ob es nicht besser sei, sie dann und wann ein wenig zu schütteln? Mache dies doch gerade in der engen Flasche Sinn. Denn sorge man nicht auch dafür, dass sich die Verschnittweine gründlich mischten? Eine Frage, die Monsieur Ruinart zeigte, wie klug seine holländische Champagner-Madame war. Nach etwas Herumgedruckse gab er ihr Recht, denn eigentlich war dies eines seiner Geheimnisse. Hätte er gewusst, wie gewissenhaft es Barbara von März bis Mai jeden Tag mit dem Schütteln der einhundertachtzig Flaschen nahm, wäre er wohl insgeheim stolz gewesen, obwohl er sie vielleicht am liebsten in der Hölle für spionierende Verräter hätte heulen hören mögen.
    Aber auf die erste Euphorie folgte bald die Ernüchterung. Denn jetzt stand das Schwierigste an, nämlich den trüben Vin mousseux wieder klar zu bekommen. Monsieur Ruinart war im Dekantieren natürlich Meister, aber sie? Das flockige Sediment, das sich nach mehreren Tagen und Wochen der Ruhe an der Flaschenwand abgesetzt hatte, durfte auf keinen Fall beim Umfüllen aufgerührt werden, andererseits musste man so schnell wie möglich arbeiten, damit sich nicht zuviel vom kostbaren Mousseaux verflüchtigte. Ein guter Kellermeister bringe nach zweimaligem Dekantieren einen fast klaren Champagner zuwege, hatte Monsieur Ruinart erzählt. Wobei es Akrobaten gebe, welche es mit einem dritten Mal schafften, nahe an den Glanz der Cuvée heranzukommen. Er habe die Ehre, sich zu diesem erlesenen Kreis zählen zu dürfen, und nur wahren Kennern falle, bei gegen eine Kerzenflamme gehaltenem Glas, die hauchzarte Trübung seiner Spitzenmousseux ins Auge.
    Ihre eigenen Versuche endeten dagegen, wie sie enden mussten. Entweder blieb der Mousseux in der Flasche, dann mit Sediment, oder das Sediment war draußen und damit leider auch der Mousseux. Barbara begann ihr Unterfangen zu verfluchen, dachte kurzfristig sogar an Selbstmord. Ihr Bestand von hundertundachtzig Flaschen schrumpfte auf hundertvierzig. Dass sie in ihren Reben noch auf dem Brechstuhl zu sehen war, grenzte an ein Wunder. Doch irgendwann packte sie große Gleichgültigkeit. Die weitergewachsenen Schosse wurden nicht mehr angeheftet, das Falgen unterlassen, und nur lethargisch stutzte sie, von Riecke immer wieder gemahnt, im August, die weit über die Rebstecken gewachsenen Triebe.
    23
    Ihren Geburtstag feierte sie mit Bernward, Riecke, Catharina, dem dicken Rudolf und Johannes in Freiburg. Doch es war ein Fest ohne Freude. Immer wieder entschuldigte sie sich für ihre Teilnahmslosigkeit. Besonders um Bernward tat es ihr leid, der sichtlich litt und trotzdem mit gespielter Fröhlichkeit wenigstens ihre Geburtstagsgäste bei Laune hielt. Dann überraschte Riecke ihre ziemlich apathische Madame während des Abendessens mit einem kostbaren Geschenk, einer nebenbei hingeworfenen scherzhaften Unmutsäußerung, die Rudolf aufgriff und damit Barbaras Problem auf theoretische Art löste. Solle sie doch ihre Flaschen wie das auszublutende Federwild kopfüber hängen, rief Riecke aus, als Bernward einen Fasan zerlegte. Wie das Blut aus der aufgeschnittenen Gurgel, so müsste das Sediment doch in den Flaschenhals tropfen können!
    Rudolf fand den Einfall bemerkenswert. Vielleicht könnte es tatsächlich so gehen. Barbara müsse warten, bis ein Teil des Sediments ausgeflockt sei, es dann in den Flaschenhals rutschen lassen und die Prozedur so lange wiederholen, bis der Vin mousseux ganz klar sei. Dann könnte sie am Schluss den Druck in der Flasche nutzen und allen Satz in eins gleichsam hinausspülen. Das Zufügen der Dosage, wie sie es bei Monsieur Ruinart gesehen habe, sei dann ein Kinderspiel.
    Barbara war ab diesem Moment wie ausgewechselt. Rudolfs Worte

Weitere Kostenlose Bücher