Bluthunde
anfingen zu zittern und die nur mit Alkohol ruhig zu halten waren. Er blickte auf seine zarten, feingliedrigen Hände. Wenn sie zitterten, dann bemerkte er es nicht. Inzwischen war es ihm meistens egal.
Wieder legten sich die Zauberhände um die rostigen Stangen, und wieder spürte er diese Wut, diesen tiefen Zorn auf die Ungerechtigkeit. Das war alles so falsch, so dumm! Er wollte schreien, wollte …
Er bemerkte den Streifenwagen, der ganz langsam vom Merowinger Platz nach rechts in die Moorenstraße einbog.
Hastig versenkte er die Hände in den Taschen seiner fleckigen Jeans. Er drehte sich zur Seite, schritt voran. Wie ein Fußgänger, wie ein ganz normaler Fußgänger. Nicht wie einer, der sich nichts sehnlicher wünschte, als irgendwann diese grauen Kästen auf der anderen Seite des Gitterzauns in Brand zu setzen, die ganze Uniklinik in Schutt und Asche zu legen.
Aber mit jedem Schritt, den er tat, wuchs die Gewissheit, dass er das niemals würde tun können. Nein, der Herrgott hatte ihn geschaffen, um Menschenleben zu retten, und nicht, um sie zu vernichten.
Warum? Warum sahen das, verdammt noch mal, nicht endlich alle ein?
Die Polizisten im Streifenwagen fuhren – ohne ihn zu beachten – an ihm vorbei und bogen in eine der kleinen Seitenstraßen ab.
Dr. Thomas M. Gerda überlegte, wieder umzukehren, um sich den Frust von der Seele zu jaulen, aber da meldete sich sein Handy mit klirrendem Ton. Umständlich ruckelte er das Mobilteil aus seinem Hemd. Er checkte die Nummer, die im Display angezeigt wurde, und nickte. Er spürte, wie sich sein Pulsschlag erhöhte.
Dann nahm er das Gespräch an. »Hallo?«
Er blieb stehen. Lauschte und nickte angespannt. Auf dem Sprung. Dankbar. Und irgendwie gierig. Auf jeden Fall sofort bereit! Es war nicht ganz so wie früher … Aber fast!
»Und wann? Heute? Jetzt gleich? Schwer verletzt? Gut, ich komme. Ich rufe nur schnell noch … Ja, ich beeile mich!«
Er schnackte das Handy mit der Linken zu. Wie automatisch fand seine rechte Hand den Flachmann in seiner Jackentasche, holte ihn hervor, führte die fast leere Flasche an seine Lippen. Sein Mund öffnete sich.
Halt!
Hastig riss er die braune Flasche von seinen Lippen. Nein, nein, jetzt keinen Alkohol! Er schleuderte den Flachmann im hohen Bogen in einen Vorgarten und drückte sein Kreuz stramm durch. Kein Alkohol. Er hatte zu arbeiten.
Struller fand, dass er im Laufe des Tages eindeutig zu viel Flüssigkeit ausgeschwitzt hatte. Graminskis Partyfilmchen und der dort literweise geflossene Champagner hatten ebenfalls seinen trockenen Gaumen gereizt. Das galt es allein schon aus gesundheitlichen Gründen auszugleichen. Mit Bier. Und zwar im
Aquarium
.
Als er die Tür zur Kneipe aufstieß, schien alles in Ordnung. Es war Sonntagabend, die Leute guckten zu Hause
Tatort
, und Krake befand sich alleine im Schankraum. Elvis Presley schwärmte warmweich vom
Heartbreak Hotel
.
»‘n Abend, Krake, ich …« Struller hielt verwirrt inne. »Was ist denn hier passiert?«
Strullers einarmiger Lieblingswirt stand an der linken Kopfseite der Theke. Auf dem Boden an der rechten Kopfseite lag ein gestapelter Berg aus Decken, Kissen und Tüchern. Übersät mit Splittern. Klatschnass das Ganze. Auf dem Kneipenboden hatte sich eine Pfütze gebildet.
»Was meinst du?«, fragte Krake abwesend.
»Was sind das für Splitter?«, deutete Struller auf den merkwürdigen Haufen.
»Welche aus Glas.«
»Ach?«
»Ja.«
»Und warum sind es Splitter?«
»Wonach sieht es denn aus?«, fragte Krake und schnappte sich schwungvoll einen mit Leitungswasser gefüllten Halbliterbierkrug.
»Nach Schutzgelderpressung«, erklärte Struller.
»Quatsch. Ich übe.« Krake packte den Krug fest beim Henkel, ging locker in die Knie, schloss ein Auge und peilte das Glas über Kimme und Korn an. »Für die diesjährige Thekencurlingmeisterschaft.« Er holte aus und gab dem Glas einen Schubs.
Wuuuuuusch!
Das Glas glitt rasant über die Theke. Das Tempo verringerte sich. Der Krug bremste langsam in den Stand, hatte die Thekenkante fast erreicht, rutschte noch ein ganz kleines bisschen … und kippte über den Thekenrand zu Boden. Hier landete er mit einem feuchten Platsch auf den dortigen Decken. Das Wasser ergoss sich über den Stoff, der Krug kullerte zur Seite und klackerte über den Kneipenboden.
»Ein bisschen zu weit«, stellte Struller das Offensichtliche fest.
»Deshalb übe ich ja fleißig. Drei Tage Zeit habe ich noch.«
Struller
Weitere Kostenlose Bücher