Bluthunde
Notfälle. Wir beide passen ein bisschen aufeinander auf. Schlimme Gegend hier.«
Fünf Minuten später hatte Jensens Nachbarin den Schlüssel gebracht, Struller die Tür geöffnet und in der Wohnung nachgesehen. Wen er nicht gefunden hatte, war Jensen.
Er überlegte, was jetzt alles zu tun war, als erneut sein Handy bimmelte. Struller erkannte schon wieder eine unterdrückte Telefonnummer. Diesmal ging er dran. »Hallo?«
Kein Jensen. Eine weibliche Stimme. »Der nächste Termin steht in Kürze an. Seien Sie vorsichtig! Die Kerle sind gefährlich. Sie sind bewaffnet, und sie scheuen vor Mord nicht zurück.«
Die anonyme Anruferin!
»Wer sind Sie?«
»Mein Name tut nichts zur Sache. Ich vertraue Ihnen. Machen Sie keine Fehler!«
»Ich muss Sie treffen!«, zischte Struller.
»Das ist vollkommen unmöglich.«
Struller konzentrierte sich. Im Hintergrund: Verkehrslärm. Genau wie bei diesem anonymen Anruf im
Aquarium
.
»Sie kennen meinen Assistenten? Christian Jensen? Er ist seit heute Vormittag verschwunden. Wir suchen ihn!«
Am anderen Ende blieb es still. Struller drückte das Handy in die Ohrmuschel, versuchte jedes noch so kleine Geräusch, jeden Ton, jede Regung mitzubekommen. Die Frau atmete heftig.
»Ist mein Kollege in Gefahr? Sagen Sie es mir! Sie müssen uns helfen!«
»Ich helfe Ihnen bereits. Natürlich ist Ihr Kollege in Gefahr.«
»Kennen wir uns?«, fragte Struller.
Nichts. Keine Antwort. Nur dieses Atmen. Die Frau war offensichtlich schockiert.
Struller schluckte, denn das war kein gutes Zeichen. »Machen Sie sich nicht unglücklich, treffen Sie sich mit mir!«
»Sie sind auf dem richtigen Weg! Der nächste Termin steht an. Beeilen Sie sich! Ich melde mich wieder!«
»Halt!«
Verdammt! Sie hatte aufgelegt.
Die ältere Dame räusperte sich. »Keine guten Nachrichten?«
»Ganz und gar nicht«, sagte Struller zerknirscht.
»Oh je. Ich geh jetzt mal lieber und nehme ein paar Tabletten ein. Der arme Herr Jensen.«
Murmelnd verließ die Frau Jensens Wohnung, und Struller hörte, wie sie langsam die Treppe runterstieg. Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. Okay, Jensen hatte sich am Worringer Platz ein Taxi bestellt. Um kurz vor eins, hatte Lena gesagt. Er drückte hastig die Tasten im Telefon.
»Polizei, Leitstelle …«
Sehr gut, er hatte den Ekligen dran, mit dem konnte man arbeiten. »Ich bin es, Struhlmann vom KK 11. Ich muss in einer Vermisstensache dringend wissen, welches Taxi heute Nacht einen jungen Mann, um die Zwanzig, vom Worringer Platz irgendwohin gefahren hat. Um kurz vor eins, als es so geschüttet hat.«
»Äh … Geht die Beschreibung noch genauer?«
»Deutsch, etwas über eins-achtzig, sportlich, lange, blonde Haare. Das ist absolut dringend, das ist ein Kollege, der da vermisst wird.«
»Ich beeile mich!«
Beide legten auf. Struller schob das Handy ins Hemd und schlenderte irgendeinen Hinweis suchend durch die Wohnung. Nein, nichts deutete auf einen Kampf hin. Es sah alles eher so aus, als wäre Jensen tatsächlich heute Nacht einfach nicht nach Hause gekommen. Irgendetwas hatte ihn aufgehalten, irgendwas hatte er gesehen, irgendwen hatte er getroffen.
»Aber wen? Oder was?«
Struller stutzte. Er hatte Jensens Küchentisch erreicht, den der auch gleichzeitig als Schreibtisch zu nutzen schien. Er erkannte mehrere dienstliche Schriftstücke. Dazu zeigte ein aus einer Zeitung namens
Niederrhein Nachrichten
sorgfältig ausgeschnittenes Foto eine zufriedene Oma Jensen, die bei einem Spargelschälwettbewerb in Walbeck in der Klasse Ü 70 den ersten Platz belegt hatte und stolz einen Bund weißer Stangen in die Höhe reckte.
Und Struller entdeckte einen Notizzettel, auf dem stand:
Kamera noch mal sichten
.
Was hatte das zu bedeuten? Die einzige Kamera, die sie in ihrer Sache gesichtet hatten, war die von Oliver Graminski gewesen, und der hatte mit dem Fall doch offensichtlich nichts zu tun. Oder hatte sein Praktikant da irgendeine Verbindung gezogen, die er selbst noch gar nicht kannte? Hatte er, Struller, irgendetwas übersehen?
Das Telefon unterbrach Strullers Überlegungen. »Ja?«
»Negativ. Heute Nacht ist in der besagten Zeit – plusminus eine Stunde – bei der Taxileitzentrale überhaupt keine Fahrt vom Worringer Platz aus gemeldet worden. Das gilt auch für die umliegenden Kreuzungen. Keine Tour.«
»Gar keine?«
»Keine. Entweder hat der Kollege kein Taxi genommen oder der Fahrer hat ihn schwarz unter der Hand transportiert.«
»Hak da nach!«,
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