Blutige Asche Roman
sogar die Statue mit dem Lendenschurz im Garten, meine Mutter oder Iris Kastelein, die behauptete, meine Schwester zu sein. Irgendjemand musste mir doch helfen. Irgendjemand. »Nicht den Garten!«
»So, es reicht«, sagte Janneke. »Die Vorstellung ist beendet. Du darfst wieder auf dein Zimmer.«
Wenn ich zurück auf meine Zelle ginge, wäre alles zu spät. Der Wachmann legte mir die Hand auf die Schulter. »Aufstehen.«
Ich musste etwas sagen. Ich musste erklären, wie alles zusammenhing.
Aber man hörte mir nicht zu. Man hörte mir nie zu. Mein Blick fiel auf das armselige Pflänzchen auf dem Tisch. Eine unserer Tätigkeiten hier bestand darin, Etiketten auf Blumentöpfe zu kleben. Da stand drauf, wie die Pflanzen hießen und wie man sie pflegen sollte. Entweder das, oder Schrauben in Muttern drehen. Diese Pflanze war eine Dracaena und brauchte viel Licht. Ich hatte das Etikett mehr als sechshundert Mal in der Hand gehabt.
Ich griff nach der Pflanze und warf sie gegen die Wand, knapp hinter Jannekes Kopf. Die Scherben flogen durchs ganze Zimmer und trafen sogar mich an der Stirn, die Erde hinterließ einen dunklen Fleck an der Wand.
Janneke zuckte zusammen, obwohl Topf und Pflanze längst an ihr vorbeigesaust waren und ich außerdem nie vorgehabt hatte, sie zu treffen. Ich hatte den Topf nur geworfen, damit ich ihr nichts tun musste.
Der Wachmann drehte mir beide Arme grob auf den Rücken und legte mir Handschellen an. Ich brüllte. Wie ein Tier. Vielleicht war ich ein Tier, und man nahm mir deshalb immer alles weg. Andererseits waren meine Fische auch Tiere und bekamen alles, was sie brauchten.
Die Tür des Sprechzimmers ging auf, und Wachleute drängten sich in den kleinen Raum. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich meine Beine bewegte. Sie schleiften mich mit, durch die Station, die Flure, über Plätze und durch noch mehr Türen. Ich hörte nicht auf zu brüllen und versuchte mich loszureißen. Ich wollte hier weg. Ich gehörte hier nicht her. Ich hatte nichts getan.
Wir erreichten eine Zelle, in der nur ein Bett mit einem Papierlaken stand. Die Isolierzelle. Das war bestimmt die Isolierzelle. »Lasst mich los! Holt mich hier raus!«, schrie ich.
Niemand hörte auf mich. Ich war von fünf Leuten umgeben, und trotzdem hörte niemand auf mich. »Ich habe nichts getan!«
Ich wurde bäuchlings aufs Bett gestoßen. Man zog mir meine Hose herunter. Ich wehrte mich, aber sie waren in der Überzahl. »Wir geben dir eine Spritze«, sagte die Schwester ohne weißen Kittel. Daraufhin durchzuckte ein heftiger Schmerz meine Pobacke. Gleich darauf wurde ich schläfrig. Man zog mich mit ruhigen, effizienten Handgriffen aus.
Deshalb musste ich an Rosita denken.
25
Während der ersten Monate bei Bartels & Peters hatte ich noch versucht, eine Beziehung zu Martha Peters aufzubauen. Da das Team nur aus neun Personen bestand und sie neben der Empfangsdame die einzige Frau war, fand ich es nur logisch, dass wir einen freundschaftlichen Umgang pflegen würden.
Ich hatte ihr einmal vorgeschlagen, gemeinsam Mittagessen zu gehen, um uns besser kennenzulernen. Aber sie hatte mich angesehen, als summe eine nervtötende Fliege um ihren Kopf.
Ich erwartete eine Ausrede, ja sogar ein unverblümte Ablehnung, aber sie hatte mir einfach gar keine Antwort gegeben.
Zu behaupten, ich nähme das nicht persönlich, wäre gelogen. Ich war gekränkt und fragte mich, was ich falsch gemacht hatte.
Eines Tages zog mich einer der Krawattenträger ins Vertrauen. »Ich werde das Gefühl nicht los, dass Martha was gegen mich hat«, sagte er. »Was meinst du, soll ich sie darauf ansprechen?«
In diesem Moment war mir alles klar. Genauso wie es Grundschullehrerinnen gibt, die jedem Kind das Gefühl geben, es wäre ihr Lieblingsschüler, besaß Martha Peters die zweifelhafte Gabe, Menschen ständig das Gefühl zu geben, sie machten etwas falsch.
Zwischen elf und halb zwölf stand eine Besprechung mit Lode in meinem Kalender. Ich ahnte schon, worum es dabei gehen würde. Ich nahm mir vor, ruhig zu bleiben, mich nicht zu entschuldigen, aber durchaus zuzugeben, dass ich bei van Benschop die Beherrschung verloren hatte und das in Zukunft nicht wieder vorkommen würde. Obwohl Lode ungerecht, ja sogar gemein sein konnte, beruhigte er sich auch schnell wieder. Ich hoffte, das würde auch heute der Fall sein.
Als ich Lodes Zimmer betrat, stand Martha Peters am Fenster und nickte mir kurz zu.
»Ich habe Martha dazugeholt«, sagte Lode. »Ich
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