Blutige Asche Roman
Urin wertlos, und sie können nichts damit anfangen.«
»Was?«
»Du bist nicht besonders helle, was? Ich werd’s dir erklären. Du musst viel trinken, um deine Pisse zu verdünnen. Dann können sie das Dope nicht mehr nachweisen. Das verstehst du doch?«
»Aber ich nehme keine Drogen.«
Er lachte. »Jeder hier nimmt Drogen. Wie sollen wir das hier sonst durchstehen?«
»Was gibt es da zu tuscheln?«, fragte der Soziotherapeut. »Ich glaube, es ist besser, ihr sitzt beim Essen nicht mehr nebeneinander. Deepak, tauschst du kurz mit Henk?«
Ich mochte Henk nicht besonders. Aber ihn kannte ich wenigstens. Ich hatte mich an den Geruch von Zware Shag und die Schweißflecken unter seinen Achseln gewöhnt. Deepak war noch nicht so lange hier. Er war schwarz. »Den Suris kannst du nicht trauen«, hatte Henk gesagt. »Die ficken deine Frau und knallen dich anschließend wegen zehn Euro ab.«
Deepak ließ sich neben mich fallen. »Warum muss ausgerechnet ich neben dem Verrückten sitzen?«, sagte er laut. Es wurde gelacht.
Er war verschlagen und imstande, einen wegen nichts umzubringen. Und trotzdem kam er auf die Idee, mich einen Verrückten zu nennen. Warum ließ er mich nicht einfach in Ruhe? Ich wurde wütend. Ich wollte nicht hier sein, ich wollte nicht, dass man mit mir oder über mich sprach, und ich wollte erst recht nicht als Verrückter bezeichnet werden.
»Ich. Bin. Nicht. Verrückt.« Noch nie hatte ich in Gegenwart der anderen so laut gesprochen. In meiner Zelle redete, ja schrie ich manchmal. So wie früher im Gefängnis. Aber
tagsüber, wenn ich von all den gestörten, verschlagenen Proleten umgeben war, hielt ich möglichst meinen Mund.
»Nur zu, Reetje«, sagte mein ehemaliger Zellengenosse und pfiff zwischen den Zähnen durch. »Immer nur raus damit.«
Alle lachten. Deepak am lautesten.
Ich zitterte. Ich griff nach meinem Messer, das jetzt neben meinem Teller lag, und hielt es hoch.
Der Soziotherapeut mit der Brille sprang auf. »Ganz ruhig. Leg das Messer wieder hin und iss in Ruhe dein Brot auf.«
»Dieses. Brot. Schmeckt. Nicht.« Ich fuchtelte mit dem Messer herum, um meine Worte zu unterstreichen. »Ihr habt ja keine Ahnung, wie leckeres Brot aussieht. Keine Ahnung. Und deshalb seid ihr selbst verrückt.« Ich spürte, wie mir die Spucke aus dem Mund flog. Ein kleiner Sprühregen ging auf das wirklich nicht leckere Brot, den Teller und den Tisch nieder.
»Was willst du mit dem stumpfen Tischmesser schon groß anstellen? Leg es hin. Du weißt, dass du wegen aggressiven Verhaltens in der Isolierzelle landen kannst«, sagte der Soziotherapeut.
»Setz dich, Mann«, sagte Rembrandt. Wie auf Kommando drehte sich alles zu ihm um. Plötzlich war es still. »Reetje meint es gar nicht so, stimmt’s, Reetje? Alles in bester Ordnung.«
Ich wollte sagen, dass ich nicht Reetje hieß und dass gar nichts bestens war. Aber das Wort »Isolierzelle« hielt mich davon ab.
»Und du hast hier gar nichts zu bestimmen«, sagte der Soziotherapeut, setzte sich allerdings wieder hin.
»Ich will keinen Ärger.« Das war alles, was der Soziotherapeut mit der Brille zu mir sagte, als wir durch den Flur zur medizinischen Station liefen. Ein Wachmann begleitete uns.
Wir kamen an dem Platz mit dem Laden vorbei, den wir einmal in der Woche in Begleitung betreten durften. Man bekam dort Sachen wie Dosenbohnen, Zigaretten und Rasierzeug. Der Laden war teurer als der Supermarkt draußen. Das rief massiven Protest hervor. Jemand hatte sogar einen Hungerstreik vorgeschlagen, aber nur wenig Unterstützung gefunden.
Auf der medizinischen Station wartete die Schwester ohne Kittel bereits auf mich. Dr. Römermann hatte mir erzählt, dass das Personal absichtlich keine Kittel trug, weil es den Unterschied zu den Patienten nicht betonen wollte. Nur die Wachleute trugen Uniform. Das war verwirrend. Man konnte nicht sehen, wer Patient war, wer Soziotherapeut, Arzt oder Pfleger. Von den Piepsern, die sie am Gürtel trugen, und der Metallkette mit ihrem Namensschild mal abgesehen. Die Kettchen rissen sofort, wenn man daran zog. Auf diese Weise konnten wir das Personal nicht erwürgen.
»Du weißt ja, was man von dir erwartet«, sagte die Schwester streng. »Hose runter, Hemd hoch und in den Auffangbehälter pinkeln.«
Ich blieb wie angewurzelt stehen. Starrte den Auffangbehälter und den Spiegel daneben an.
»Der Bewohner ist heute ein bisschen gestresst«, sagte der Soziotherapeut mit der Brille. »Wir hatten schon
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