Blutige Küsse und schwarze Rosen
nach dem Aufstehen sein Frühstück zubereiten wollen. Doch es war kein Morgen mehr, wie er nun wusste. Und vor allem kein gewöhnlicher. Elias würde nie mehr normal frühstücken können.
Er begann sich zu erinnern. Die Bilder des letzten Tages und der Nächte kehrten zurück. Er zog sich den nächstbesten Stuhl heran und nahm Platz.
„Alles in Ordnung?“
Nico kniete sich zwischen seine Beine und legte ihm als Zeichen des Trostes eine Hand auf den Oberschenkel. Eine Geste, bei der sich Elias innerlich verspannte. Sofort breitete sich eine behagliche Wärme in ihm aus und das Gefühl von Nicos Lippen auf den seinen schlich sich in seinen Geist.
„Wirst du mit auf den Friedhof kommen?“, fragte Nico plötzlich. Und wie schon in der Nacht zuvor wirkte er mit einem Male sehr nachdenklich – zog seine Hand zurück und erhob sich vom Boden. „Elisabeth hat ihren Fehltritt sicherlich längst eingesehen und bereut ihn.“ Er schaltete den Ofen aus und erst jetzt fiel Elias der intensive Geruch der darin aufbackenden Brötchen auf. Doch anders als sonst ließ ihm dieser nicht das Wasser im Munde zusammenlaufen. Etwas an dem Duft war künstlich, chemisch.
„Ich denke, du solltest dabei sein“, fuhr Nico fort, holte die Flasche Blut aus dem Kühlschrank und füllte die zwei auf dem Küchentisch bereitstehenden Tassen. „… bei der Unterhaltung heute.“
Elias wurde hellhörig, sah alarmiert auf. „Was meinst du?“
„Nichts Bestimmtes.“ Nico zuckte die Achseln und ehe Elias nachhaken konnte, wechselte er das Thema.
„An die meisten Gerüche und Geschmäcker der Menschennahrung gewöhnst du dich“, meinte er und drückte Elias eine Tasse mit erwärmtem Blut in die Hand. „Du kannst also mit Freunden und der Familie essen, wenn du nicht umhin kommst. Nur solltest du dabei von einigen Dingen wirklich die Finger lassen.“ Er schauderte theatralisch. „Säfte aller Art schmecken wie purer Zucker – ganz zu schweigen von Cola.“
Elias drehte die Tasse zwischen seinen Fingern. Der Duft des Blutes war metallisch und salzig. Einfach gut – selbst wenn das herrlich würzige Aroma von Nicos Haut fehlte.
„Wovon hast du dich ernährt?“, fragte er, einer plötzlichen Eingebung folgend. „Bevor du Elisabeth und Melchior begegnet bist, meine ich.“
Angewidert verzog Nico das Gesicht, nippte an seinem Getränk, bevor er antwortete: „Als ich endlich verstand, zu was ich geworden war, und dass ich Blut zum Überleben brauchte, habe ich rohes Fleisch aus dem Supermarkt gegessen. Das abgepackte Zeug wird mit Wasser gestreckt, aber es war noch immer sättigender als gewöhnliche Nahrung.“ Nico schüttelte den Kopf, als wolle er damit diese Erinnerung vertreiben und Elias ließ die Unterhaltung ruhen. Er wandte sich wieder der Tasse zu.
Seine Gedanken jedoch blieben bei Nico. Dem Nico, den er nie kennengelernt hatte. Hatte er sich seit seiner Verwandlung auch innerlich verändert? Was sonst hatte er noch alleine durchmachen müssen, wobei er selbst Elias nun zur Seite stand? Wie weit war der Weg bis an diesen Punkt gewesen, an dem er sein Vampirdasein als so selbstverständlich hinnahm, wie Elias einst sein menschliches Leben?
Es war das erneute Läuten des Telefons, das Elias zurück in die Gegenwart riss. Ines hatte das Abendessen beendet und forderte die ihr versprochene Gutenachtgeschichte ein. Sie entschied sich für ‚Alice im Wunderland‘ und so erzählte Elias seiner kleinen Schwester die Geschichte, die er bereits auswendig kannte. Nur eines war anders als sonst: Zum ersten Mal konnte er sich in das normale Mädchen, deren Welt sich so plötzlich änderte, hineinversetzen. Das Mädchen, das eine völlig neue Welt entdeckte. Eine so irreale Welt …
***
Obwohl alles in ihm dagegen anschrie, begleitete Elias seinen Kumpel wenig später zu der Grabstätte. Es war eine windstille, sternlose Nacht. Die Atmosphäre war nicht mit der vorigen zu vergleichen. Es schien so, als würde das Fehlen der Sternendecke jedes Geräusch – das Rascheln der Tiere und Summen der Insekten – dämpfen. Der dunkle Himmel lag schwer über allem.
Doch war es etwas anderes, das schwer auf Elias lastete, als er und Nico den Friedhof betraten. Es kam ihm vor, als sei er den Gang zu seinem persönlichen Galgen angetreten. Unruhe breitete sich in seinem Inneren aus, ohne dass er den Anlass dafür kannte. Da war nur dieses Gefühl, das ihm zuflüsterte, Nico habe ihn aus einem ganz bestimmten Grund gebeten,
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