Blutige Küsse und schwarze Rosen
Augen kaum trauen. Es war das Foto. Das, auf dem sein Wunsch geschrieben stand.
„Vergiss es“, flehte er und wandte sein Gesicht ab, als Nico das dicke Papier entfaltete. Obgleich er die Worte darauf längst kannte, wünschte Elias, sein Freund würde sie nicht erneut lesen. „Bitte.“
„Es ist okay. Ich möchte es tun.“
Heißes Blut schoss in Elias’ Wangen, als Nico näher rückte. So lange hatte er sich gewünscht, ihn küssen zu können … Nun aber beschlich ihn Angst. Konnte er das wirklich zulassen?
„Komm, schau mich an.“ Nico legte eine Hand an Elias’ glühende Wange und wandte das Gesicht dem seinen zu.
Sie waren einander jetzt so nahe, dass Elias den feuchten Atem an seinen Lippen spürte. Ein leichter Anflug von Schwindel überkam ihn. Diese Art von Nähe hatte es bisher nur in seinen Fantasien gegeben. Fantasien, die Elias unter Schüben von Gewissensbissen stets verdrängt hatte – denen er sich niemals hatte hingeben wollen. Doch nun war er nicht dazu imstande, es zu beenden. Er war zu schwach, fühlte seine Augenlider zufallen, als Nicos Mund sich auf seinen legte …
… und ihn küsste.
Unglaublich zart.
Das war Elias’ erster Gedanke. Diese Lippen waren so wahnsinnig zart, sanft … Wie sie sich an ihn drückten und mit leichten Bewegungen massierten … Elias hatte sich den Kuss eines Mannes immer hart vorgestellt. Kühl und hart und bestimmend. Dieser allerdings war warm und weich.
Die innere Anspannung schwand ins Bodenlose und Elias gab sich seinen Gefühlen, seinem Verlangen ganz und gar hin. Er erwiderte die Liebkosung, umspielte Nicos Lippen und zupfte leicht an ihnen. Sie sandten kleine Stromschläge direkt in seinen Lendenbereich.
Plötzlich zuckte Elias zurück.
Er schmeckte das Malheur, noch ehe er ihn erblickte: einen rubinroten Tropfen auf Nicos Unterlippe. Wie spitze Nadeln hatten sich Elias’ Eckzähne in sie gebohrt.
„Dasss wollte ich nicht …“, entschuldigte er sich, schlug beim Klang der Worte aber eine Hand vor seinen Mund.
„Alles okay.“ Nico leckte die salzige Blutperle von seiner Lippe und Elias sah ihr sehnsüchtig nach, hoffte beinahe, eine weitere würde sich bilden. Doch die Haut war bereits verheilt und ihm blieb nur die Erinnerung an den Geschmack des Blutes. Wie ihm auch nur die Erinnerung an den Kuss blieb, der viel zu früh, viel zu schnell geendet hatte.
Ein so unschuldiger, beinahe schüchterner Kuss. Und dennoch erregend. Selbst wenn diese Erregung Elias’ Boxershorts noch nicht anzusehen war, so hatten ihn stattdessen die wuchernden Zähne verraten, die sich nun wieder zurückzogen, kaum dass sie ihre Aufgabe erledigt hatten.
„Die Sonne geht bald auf.“ Nico deutete mit einem Kopfnicken zum Horizont. Erste goldene Verfärbungen zeichneten sich am Himmel darüber ab. „Du solltest versuchen, noch ein wenig Schlaf zu bekommen.“ Mit einem Räuspern erhob er sich und trat zurück ans Fenster. „Kommst du?“
„Ja. Gleich …“
Elias wollte noch einen Moment allein draußen verbringen. Er schlug sich die Arme um seine Knie und legte das Kinn darauf ab. Während die goldenen Sonnenstrahlen langsam zwischen den alten Häusern der Gemeinde hervorlugten, kam in ihm ein tiefes Unbehagen auf. Nico hatte nach dem Kuss seltsam abwesend gewirkt. Er hatte kaum noch etwas gesagt und war dann so plötzlich gegangen.
Hätte Elias den Kuss verhindern müssen …? Seinem Freund zuliebe?
Kapitel 7
R ÜCKKEHR
Ein grelles Piepsen holte Elias am kommenden Tag aus der traumlosen Welt der Träume. Es kam ihm vor, als habe er nicht eine einzige Minute geschlafen, aber dieser Umstand schien dem Wecker völlig egal zu sein. Schrill und penetrant klingelte er Elias entgegen.
Mit seinem seit Jahren perfektionierten Schlag knallte er die Aus-Klappe hinunter, als es im nächsten Augenblick laut schepperte. Schrauben, Plastik, Metall und Uhrzeiger glitten über den Boden des gesamten Zimmers – doch das Piepsen ging fröhlich weiter.
„Mwahm …“, fluchte Elias wortlos und wandte sich dem Missgeschick zu. Einzelteile des einstigen Nerventöters lagen bis in die hinterste Raumecke zerstreut.
„Elias! Telefon!“
Daher kam das Klingeln also.
Entschuldigend sah Elias den elenden Überresten der Uhr hinterher, als er sich in Boxershorts und Shirt in die Küche aufmachte.
Nico war bereits ans Telefon gegangen und lauschte mit einem breiten Grinsen dem Gebrabbel am anderen Ende der Leitung. Elias erkannte Ines’ Stimme und das darin
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