Blutige Küsse und schwarze Rosen
verborgene Strahlen für ihren mehr oder weniger heimlichen Schwarm sofort.
„Mach mal auf Lautsprecher!“, sagte sie fordernd. „Dann hört ihr mich beide!“
„Aye, aye, Käpt’n!“ Nico folgte dem Befehl von Elias’ kleiner Schwester, drückte den Lautsprecherknopf und legte das schnurlose Telefon auf dem Küchentisch ab.
„Hallo Elias!“
„Hey, Kleine!“ Ines’ ewig fröhliches Wesen zog jeden in seinen Bann. Eben noch müde und mürrisch, musste Elias jetzt lächeln. Er liebte sein Schwesterchen über alles. „Was gibt’s Neues?“
„Voll viel! Mama war heute Morgen spät dran und hat zwei schlimme Wörter gesagt!“
„Gleich zwei ?“, wiederholte Nico gespielt schockiert und brachte das Mädchen damit zum Kichern.
Auch Elias musste schmunzeln. Kein Wunder, dass Ines für Nico schwärmte; er hatte ein besonderes Händchen für sie. Jedes Mal, wenn sie und Elias’ Eltern zu Besuch kamen und Nico vorbeischaute, schwirrte Ines um ihn herum und ließ ihn nicht aus den Augen.
„Und wie läuft’s im Kindergarten?“
Während das aufgeregte Kinderstimmchen von den verschiedensten Abenteuern beim Spielen berichtete, begann Elias damit, das Frühstück vorzubereiten. Sein Magen rumorte bereits lautstark und ihm war sogar leicht übel.
Unter Nicos interessiertem Blick holte er Brötchen aus dem Gefrierschrank und schob sie zum Aufbacken in den Ofen. Dann stellte er Butter, Marmelade sowie zwei Tassen auf den Küchentisch und holte ein Glas Kaffeepulver hervor.
Elias hatte für seinen morgendlichen Milchkaffee nie genug Zeit, weshalb er immer löslichen Kaffee im Haus hatte. Er drehte den Deckel herum …
… und konnte sich gerade noch rechtzeitig von Nico abwenden, bevor die Splitter zu Boden und in alle Richtungen flogen. Elias hatte schon das Bersten zwischen seinen Fingern gespürt, ehe das Glas zerbrach.
„Was war das?“, schrie Ines panisch durch den Hörer.
„Nichts passiert!“, versicherte Elias sofort und betrachtete die braunen, klumpigen Tropfen, die an seiner Hand hinabrieselten; Blut hatte sich in das Pulver gemischt. „Mir geht’s gut.“ Er zog ein Stückchen Glas aus seiner Handfläche. Die Blessur brannte und der Kaffeegeruch stieß ihm unangenehm in die Nase.
„Dein großer Bruder hat mit bloßen Händen ein Glas zerbröselt!“, meinte Nico, trat an ihn heran und nahm Elias’ Hand, um sie zu begutachten. Doch die Schnittwunde hatte sich augenblicklich zusammengezogen und zu heilen begonnen.
„Wow, bist duuu stark!“
Während Ines’ Staunen nicht abbrach, holte Nico Handbesen und Schaufel unter der Spüle hervor und begann die mit Splittern gespickte Sauerei aufzukehren.
„Ines, Süße, ich muss Schluss machen und das wegräumen“, sagte Elias entschuldigend und kniete sich zu Nico, um die großen Scherben aufzusammeln. „Okay?“
„Ist nicht schlimm! Dafür musst du mir heute eine Gutenachtgeschichte vorlesen! Oh, jetzt gibt’s eh Abendessen. Total schwul!“
Elias erstarrte bei dieser Aussage. Ihm war klar, dass seine Schwester nicht wusste, was dieses Wort bedeutete. Und ihm war ebenso klar, dass es sie nur reizen würde, es wieder als Schimpfwort zu benutzen, sollte es ihr verboten werden. Darum ersparte er sich einen Kommentar – spürte aber dennoch ein unerwünschtes Ziepen in der Magengrube. Irgendwann würde er sich auch seiner Familie gegenüber outen müssen. Wie würde sie reagieren? Er hatte stets ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern gehabt, dennoch bereitete ihm ein zukünftiges Coming-out Sorgen. Homosexualität war nie ein Thema in seinem Elternhaus gewesen und wenn Elias es sich recht überlegte, hatte er nicht die geringste Ahnung, wie seine Mutter und sein Vater dazu standen. Würden sie akzeptieren können, dass ihr Sohn schwul war? Würde Ines es verstehen?
Das Besetztzeichen ertönte aus dem Hörer und Nico legte das Telefon auf.
„Was diese Kleinen im Kindergarten immer so alles aufschnappen …“, meinte er und warf Elias einen halb belustigten, halb besorgten Blick zu.
Der ignorierte das beengende Gefühl in seinem Magen und fragte stattdessen: „Sagte sie eben Abendessen? Wie lange habe ich geschlafen?“
„Es ist kurz nach sechs Uhr abends.“ Nico leerte die Schaufel über dem Eimer aus, ehe er ein letztes Mal über den Boden fegte. „Was hattest du eigentlich mit dem Kaffee und dem ganzen anderen Zeug vor?“
Verwirrt sah Elias zu dem halb angerichteten Tisch. Wie an jedem gewöhnlichen Morgen hatte er sich
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