Blutige Küsse und schwarze Rosen
Oberkörper zu entblößen. Den Stoff knüllte sie in ihrem Schoß zusammen – auf dem Boden gaben die Teelichter kaum einen freien Platz her.
„Einer Freude hast du mich heute übrigens schon beraubt, was mich wirklich äußerst unglücklich stimmt. Ich habe die gesamte Kleinstadt nach dir abgesucht. Ich wollte es sein, die dich aufspürt und für das Durchstöbern unseres Eigentums bestraft. Und du musstest dich von Melchior finden lassen. Kaum ein Haar hat er dir gekrümmt.“
Während Elisabeth in Hohngelächter ausbrach, trat auch Melchior, der bislang außerhalb Elias’ Sicht gestanden hatte, an ihre Seite. In der rechten Hand hielt er ein auffällig mit Ornamenten geschmücktes Buch. Es war nicht das Werk mit den Aufzeichnungen, das Elias bereits einmal gesehen hatte. Dieses hier war dicker, schien älter und abgenutzter. Über die Ränder zogen sich feine, goldene Reliefs in Form von Sternen, Tropfen und Rosen. Sie waren stellenweise beschädigt, nahmen dem Buch jedoch nichts von seiner Schönheit. In Melchiors anderer Hand blitzte die Klinge eines kleinen Messers im Feuerschein gefährlich auf.
„Der erste Schnitt sollte zu ertragen sein“, erklärte Elisabeth Elias noch immer grinsend und so selbstverständlich, als erläuterte sie einem Kind gerade das Addieren. „Der zweite und alle weiteren an derselben Stelle werden wahrscheinlich viel unangenehmer sein. Aber sie sind notwendig, da deine Haut zu schnell verheilt und wir sie wieder öffnen müssen, damit du, wie geplant, ausbluten kannst. Falls du vor Schmerzen schreien musst, tu dir keinen Zwang an, denn hören wird dich ohnehin keiner. Die dunklen Kräfte, die während des Rituals entstehen, sind zu mächtig für die kümmerlichen Seelen der Menschen. Sie erschaffen solch eine betäubende Energie, dass dein Gejammer zu niemandem durchdringen wird.“ Sie nahm das Messer entgegen und setzte die Klinge an Elias’ linkem Handgelenk an, dort, wo die Fesseln ihn umschlungen hielten.
„Möglicherweise beruhigt es dich, dass Nico diesem Schicksal dank dir entkommen ist. Nur lass mich dir versichern, dass auch er nicht den angenehmsten Tod erleiden wird, den sich ein Vampir wünschen kann. Du verstehst ja sicherlich, dass er dein plötzliches Verschwinden mit uns in Verbindung bringen wird. Schließlich hast du dich bei ihm bestimmt längst über uns ausgeweint, nicht wahr?“
Elias’ Herz hämmerte ihm in den Ohren wider. Er hatte fürchterliche Angst um Nico. Sein Atem ging keuchend und Wut stieg in ihm auf. Wut über seine Hilflosigkeit. Wut darüber, dass Elisabeth und Melchior mit ihrem Hinterhalt durchkommen würden. Sie hatten gewonnen, würden kriegen, was sie wollten. Nichts und niemand stand ihnen im Weg … Und noch mehr Wut über die Tatsache, dass all das nicht ausreichte, um Nico zu verschonen.
Als sich dieser Gedanke schwer auf Elias’ Brust legte, erinnerte er sich plötzlich an das Gespräch, das er zuvor mitgehört hatte. Er hatte die Blutmahlzeiten nicht grundlos bekommen. Sie hatten ihn von etwas Entscheidendem abhalten sollen.
„Ich habe jemanden gebissen!“, stieß er hervor. „Nach meiner Verwandlung!“
Eine grauenhafte Sekunde des Schweigens trat ein, als Elisabeth innehielt und starr auf sein Handgelenk blickte.
„Ich habe sein Blut getrunken“, ergänzte er hastig, hoffte, dass ihn diese Tatsache für das Ritual unbrauchbar machte.
Doch Elisabeth fing sich schnell, schnaubte bloß verächtlich und keifte: „Du lügst.“
„Und wenn er die Wahrheit …?“
„Er lügt!“, kreischte sie erneut, ehe Melchior aussprechen konnte. Ihre Stimme war so grell, dass Elias’ Trommelfell surrte, und ihre Hände vibrierten vor Anspannung. „Er hat unsere Unterhaltung mitbekommen und versucht nun, sich herauszuwinden. Aber das wird dir rein gar nichts bringen.“
Das Wort wurde an Elias gerichtet. „Oder glaubst du wirklich, wir würden dich jetzt noch einfach laufen lassen – selbst wenn du für die Opferung nutzlos sein solltest?“ Mit einem kurzen Kopfnicken wandte sie sich zurück an Melchior: „Fang an. Wir ziehen das durch.“
Zweifel standen im Gesicht ihres Gefährten. Dennoch schlug Melchior gehorsam den Buchdeckel auf, blätterte weit zum Ende vor und suchte mit dem Zeigefinger nach einer bestimmten Textstelle.
„Nach dem linken Unterarm kommt der rechte, dann folgt ein Schnitt, der die Schlüsselbeine miteinander verbindet, und zum Schluss ein Kreuz quer über den Bauch“, trug er das Gelesene
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