Blutige Küsse und schwarze Rosen
vor. „In dieser Reihenfolge wiederholen, bis er …“ Die Worte schienen in Melchiors Hals stecken zu bleiben. Er fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen, strich sich fahrig eine braune Haarsträhne hinter das Ohr und sah zu Elisabeth. „Die Beschwörungsformel beginnt nach dem ersten Schnitt.“
Dies war das Startsignal.
Ohne zu zögern drückte Elisabeth die Messerspitze hart gegen das gefesselte Handgelenk und begann zu ritzen. Elias spürte jede Hautschicht, die die Klinge durchbohrte … Sie teilte seine Haut bis hin zur Ellenbeuge, drang mit einem fühlbaren Knack durch die Aderwand und ließ heißes Blut hervorquellen. Aber Elias spürte den Schmerz in seinem Arm kaum noch. Sein ganzes Nervensystem kollabierte, Blitze jagten ihm durch das Rückenmark und sein Magen drehte sich vor Übelkeit. Er nahm nur noch am Rande wahr, wie das Blut aus der Wunde sickerte; wie Melchiors leise Stimme nun die Beschwörung in einer fremden Sprache psalmodierte. Und als sein zweiter Arm zu brennen begann, wusste Elias, dass nun dieser an der Reihe war, zu bluten. Er wünschte sich, in Ohnmacht zu fallen und seinen eigenen Tod nicht mitzubekommen. Die Qualen jedoch, die das Messer ihm zufügte, riefen ihn jedes Mal zur Besinnung. Immer wieder wurde sein Kopf klarer und die Empfindungen kehrten zurück, gerade einmal lange genug, um ihn den Schmerz auskosten zu lassen. Elias hörte seine eigenen Schreie und hasste sich für diese Schwäche. Als die Klinge schließlich über seinen Bauch fuhr, presste er die Zähne zusammen und grollte mit letzter Kraft: „Zumindest sterbe ich nicht umsonst! Denn …“ Mühsam unterdrückte er einen weiteren Aufschrei. „Ich habe von Nico getrunken!“
Obwohl Elias keine Ahnung hatte, welche Konsequenzen den Vampiren drohten: Zu wissen, dass sie diese wahrhaft fürchteten, ließ eine tiefe Befriedigung in ihm aufkeimen. Aber sie hielt nur so lange, bis das Kreuz auf seinem Bauch zu Ende gebracht worden war. Dann begann die Tortur von Neuem. Und Elisabeth sollte recht behalten: Das Öffnen der heilenden Wunden war unendlich viel schmerzhafter als das Einschneiden in unversehrte Haut.
Dies war der Moment, in dem alles um Elias herum schwarz wurde.
Ein friedliches Schwarz.
Allerdings kein undurchdringliches.
***
Es war ein wutentbrannter Schrei, der ihn unsanft aus der erlösenden Stille zurück in die Realität driften ließ. Durch den schweren Schleier der Ermattung hindurch konnte Elias laute, wirre Stimmen ausmachen.
Einen weiteren Schrei.
Anschließend war wieder alles ruhig.
Viel zu plötzlich.
Doch es war nicht die Ruhe einer Ohnmacht, die ihn umgab. Elias war bei Sinnen, roch das Blut überall auf seiner Haut, spürte den Wind durch sein Haar fahren sowie die Stricke seine Hand- und Fußgelenke wund reiben.
Stricke, die im nächsten Moment gelöst wurden. Elias’ Glieder fielen schwer wie Beton zu Boden. Unsägliche Schmerzen rasten durch seinen erschöpften Körper, obwohl es ein Fall aus gerade einmal wenigen Zentimetern war.
Als er gleich darauf sanft von warmen Armen umfangen wurde, war Elias’ erster Gedanke, sich zur Wehr setzen zu müssen, selbst wenn er wusste, dass dies in seinem Zustand völlig sinnlos war. Dann aber hörte er, wie jemand seinen Namen flüsterte, direkt an seinem Ohr. Die Wut und Besorgnis, die in dem leisen Wort lag, ließ ihn zu sich kommen und er tauchte aus der Schwärze auf, versuchte seine Lider zu öffnen.
„Nicht … Tsch … Lass die Augen zu und ruh dich aus. Deine Wunden müssen erst einmal zu heilen beginnen“, wisperte Nico und wiegte ihn zur Beruhigung wie ein Kind in seinem Schoß. „Tsch … Es ist vorbei. Ich bin jetzt hier.“
Seine Stimme war ein einziger gequälter Laut. Und dennoch durchströmte Elias bei ihrem Klang ein tiefer Friede. Denn Nico war hier. Er hatte ihn gefunden, gesucht , trotz allem, und hielt ihn nun in den Armen. Die wohltuende Wärme, die er dabei schenkte, umhüllte Elias’ ausgekühlten, geschändeten nackten Oberkörper und milderte so ein wenig das unerträgliche Brennen seiner Verletzungen. Er ruhte mit der Stirn an Nicos Halsbeuge und lauschte dem faszinierenden Pulsschlag unter dessen Haut, während die Taubheit aus seinen Fingern wich und endlich Gefühl in sie strömte. Elias sank immer tiefer in eine alles übermannende Müdigkeit. Als hätte man ihm auch das letzte Quäntchen Energie, den letzten Funken Leben ausgetrieben. Er war nicht einmal dazu imstande, den Kopf
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