Blutige Küsse und schwarze Rosen
aufgeschlagenen Text, ehe er sich räusperte und ihn mit erhobener, stolzer Stimme zu übersetzen begann.
„Die Leiden unserer Menschlichkeit abgelegt, sind wir zu neuem Leben erkoren. Von Nalmiha auf ewig wach geküsst, sind wir den Göttern ebenbürtig. Sitten und Grenzen der Sterblichen liegen fernab unserer Bestimmung. Sie sind unserer nicht würdig. Gaben und Werte der Allmächtigen leiten fortan unser Dasein: wahren, was einst gegeben uns so blutgetränkt.“
Er legte das Buch auf einem der niedrigen Beistelltische ab und sein Blick schweifte in die Ferne, als er fortfuhr: „Mit Nalmiha begann alles und ihr wusstet bis eben nicht einmal von ihrer Existenz, geschweige denn, wer sie war: eine Göttin. Eine Göttin, die – gerufen von den Gebeten eines alten, der Zauberkunst kundigen Rumänen – nachts auf die Erde kam. In der Dunkelheit der Nacht begann unsere Geschichte, weshalb mein Zirkel die Nacht als den Tag unserer Spezies lebt.
Der Sohn des Alten lag im Sterben und die Göttin Nalmiha wurde um Hilfe angefleht.
Wisst ihr, was einen wahren Gott ausmacht? Es ist die nahezu unerschöpfliche Macht. Die Einschränkungen eines Menschen sind ihm fremd. Kraft, Gesundheit – das sind nur lächerliche Bruchteile dieses Seins. Die Vollkommenheit reicht über alle Gesetze der Natur hinaus. Selbst weit über die Grenzen des Todes entfaltet sich eines Gottes Macht. Und so stand nur Nalmiha zwischen dem Leben und Dahinscheiden des kranken Sohnes.
Der alte Hexenmeister bot ihr alles zum Tausch. Vieh, Gold … Nur seinen einzigen Sohn sollte sie retten. Doch an menschlichen Schätzen hat kein Gott Interesse. Was soll ein so mächtiges Wesen schon mit all dem? Und genau das war der Punkt: Nalmiha empfand großen Zorn darüber, dass ein Mensch die Magie beherrschte. Dies war ausschließlich den höheren Wesen vorbehalten. Und so verlangte Nalmiha das Leben des alten Hexenmeisters für das seines Sohnes.
Der Alte wusste, dass er keine Wahl hatte. Er stellte den Wert seines Kindes über den eigenen und schied durch die Hand der Göttin von dieser Erde.
Als Gegenzug schenkte Nalmiha dem jungen Mann Gesundheit. Sie saugte ihm mit einem Biss die menschlichen Schwächen aus seinem Blut, wobei bei ihrer Vereinigung ein Teil ihrer göttlichen Fähigkeiten auf ihn überging. Darunter Kraft, Schnelligkeit und Unsterblichkeit. Aber auch umgekehrt geschah eine Wandlung. Nalmiha sollte von nun an auf ewig mit dem geretteten und vollkommen reinen Sohn verbunden sein. Sie spürte seine Ängste, Freude, Trauer. Und somit den Schmerz, den er durch den Tod seines Vaters erlitt. Dieses Gefühl allerdings war einer jeden Gottheit unbekannt, weshalb die Trauer des jungen Rumänen Nalmiha unermessliche Folter bereitete.
Mit der Bitte, diesen Qualen ein Ende zu setzen, suchte sie Macjuahn, ihren Vater, auf. Dieser war über das törichte Handeln seiner Tochter zutiefst erzürnt. Keinem Gott stand es zu, das Leben eines anderen – ob Mensch oder nicht – zu nehmen. Und die Überheblichkeit Nalmihas, die sie befriedigt hatte, als sie den Alten zum Tode geleitete, war eines Gottes nicht würdig. Macjuahn verstieß seine Tochter und verbannte sie auf die Erde, wo sie bis zu ihrem Tode als Sterbliche wandeln und jedes menschliche Empfinden durchleiden sollte.
Das Ungleichgewicht, das sie zwischen den Menschen ausgelöst hatte, konnte Macjuahn dennoch nicht beenden, da es auch ihm nicht zustand, dem jungen Rumänen zu schaden, der nun überirdische Fähigkeiten besaß und diese auf dieselbe Weise übertragen konnte, wie einst Nalmiha es getan hatte. Und so – als sei die Tatsache, dass wir Blut zum Überleben brauchen, nicht Fluch genug – legte Macjuahn einen Fluch auf all diejenigen, die ihre durch den Biss erlangte Macht missbrauchten: Wer von ihnen mordete, sollte die Quelle des Lebens, das Tageslicht, nie mehr betreten dürfen.“ Bei diesen Worten deutete Sânge auf Nico, bevor er sich wieder dem Buch zuwandte. „Man könnte die Schrift der Nalmiha als die Bibel der Vampire bezeichnen und würde damit untertreiben. Dieses Werk ist so viel bedeutender und gibt uns so viel mehr als die Heilige Schrift den Menschen.“ Seufzend blätterte er durch die angebrannten, mit Asche verschmutzten Seiten. „Es ist eine Schande, dass ein solch bedeutendes Artefakt derartig in Mitleidenschaft gezogen wurde. Es erzählt unsere Geschichte und diese darf unter keinen Umständen in Vergessenheit geraten.“
„In diesem Buch steht noch
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