Blutige Küsse und schwarze Rosen
ein unerklärliches Wohlgefühl in Elias aus. „Seine Aura ist unbefleckt und frei von jeglicher Sünde. Deine jedoch …“ Sânge wandte sich zurück an Nico. „Du hast Leben genommen. Also bist du ein Mörder und auf ewig als solcher gekennzeichnet. Du trägst nun den Tod in dir.“ Er nahm eine schmale Glasvase mit zwei makellos weißen, offenen Rosen an sich. „Gib mir deine Hand und lasst es mich euch zeigen.“
Noch ehe Elias protestieren konnte, war Nico der Anweisung gefolgt und hatte einen Arm vorgestreckt. Ihre Blicke ruhten angespannt auf den Fingern, die Nicos Handinnenfläche nach oben drehten. Dann – mit einer Schnelligkeit, die Elias zusammenfahren ließ – schnitt Sânge mit einem Nagel Nicos Pulsader auf. Blut spritzte.
Entsetzt machte Elias einen Satz nach vorne, aber Nico bedeutete ihm mit einem Kopfschütteln, er solle nicht ins Geschehen eingreifen.
„Keine Sorge, er wird schon nicht verbluten“, meinte Sânge amüsiert und im selben Augenblick stellte Elias fest, dass die Wunde bereits zu verheilen begann und das Blut nur noch in einem dünnen Rinnsal über Nicos Unterarm floss.
Blut, welches Sânge mit der Vase auffing. Die Tropfen perlten das klare Glas hinunter, bis sie die Oberfläche des Wassers erreichten und sich damit vermischten. Sie lösten sich darin wie eine dunkelrote Rauchwolke auf und verfärbten es.
Mit jeder verstreichenden Sekunde, die Elias in das nun leicht trübe Wasser starrte, wuchs die Unruhe in seinem Inneren. Er hatte keine Ahnung, was er erwarten, geschweige denn, worauf er achten sollte.
Bis die Schwärze begann, sich auszubreiten.
Wie ein Schleier kroch sie aus den mit Dornen bewachsenen Stielen hervor und legte sich über jedes einzelne Blütenblatt. Sie hüllte das reine Weiß der Rosen vollkommen ein und verwandelte es in ein tiefes, samtiges Schwarz. Mystisch, dunkel und wunderschön zugleich.
„Durch das Trinken infizierten Blutes würde ein Vampir sich niemals mit den Flüchen eines anderen Lebewesens anstecken“, flüsterte Sânge erklärend. Er hob die Vase an seine Lippen, fuhr sanft mit ihnen über die Blüten, als wolle er sie küssen, und stellte sie dann an ihren ursprünglichen Platz zurück. „Nur die Königin der Blumen, die Rose, besitzt die Fähigkeit, Flüche in sich aufzunehmen, als seien sie ihr selbst auferlegt worden. Dieser ist der, mit dem du belegt wurdest. Er ist nun sichtbar, ebenso wie seine Wirkung: Die Rosen sind nicht eingegangen, nicht tot, so, wie du nie sterben wirst. Doch tragen jetzt auch sie das Zeichen des Todes in sich.“
Als Sânges Wispern verstummte, breitete sich eine drückende Stille im Saal aus. Eine Stille, die Elias fast als noch unerträglicher empfand als die vorangegangenen Worte. Aber er wagte nicht, zu sprechen. Selbst das Geräusch seiner Atemzüge schien ihm unangemessen laut.
Bekümmert sah er zu Nico. Dessen Augenmerk ruhte wie gebannt auf den geschwärzten Rosen. Sein Blick war leer, ausdruckslos. Es war, als sei mit den wenigen Tropfen Blutes gleich alles Leben, jede Hoffnung von ihm gewichen.
„Dieser Fluch …“ Elias erkannte die kraftlose Stimme, mit der er redete, kaum als die eigene wieder. „Er lässt sich brechen, nicht wahr? Es gibt einen Weg, ihn aufzuheben?“
„Ihn aufheben?“ Sânge belächelte Elias, als sei er ein dummes Kind, das die Welt erst von Grund auf erlernen müsse. „Mein Lieber, du scheinst den Zweck des Fluches nicht zu begreifen. Macjuahn hat ihn uns nicht auferlegt, damit wir ihn nach Belieben ablegen können. Er strafte uns mit diesem Fluch.“
Elias’ Herz machte einen Sprung, als Nico endlich aufschaute und sprach.
„Macjuahn?“, fragte er. „Wer ist das? Könnte er uns weiterhelfen?“
„Ihr tragt die Schrift der Nalmiha mit euch und wisst dennoch nichts über die Geschichte unserer Gattung?“
„Weder Nico noch ich sind in der Lage, es zu lesen. Daher sind wir …“
„Daher seid ihr hier“, beendete Sânge gedehnt und nahm das Buch an sich, ohne dass Nico dagegen hielt. „Natürlich.“ Beinahe liebevoll fuhr er mit den Fingern die Reliefs sowie den verkohlten Einband entlang und öffnete die erste Seite. „Die Schrift der Nalmiha entstand vor sehr langer Zeit in Transsilvanien – unserem Geburtsort, wenn man so will. Zur damaligen Zeit wurde die rumänische Sprache in kyrillischer Schrift geschrieben. Und in dieser Zeit entstanden auch diese Aufzeichnungen.“ Sânge hielt inne, betrachtete einen Moment lang den
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