Blutige Küsse und schwarze Rosen
vorfanden. Die Vampirin kniete direkt am See, dessen Wasser in seichten Wellen ans Ufer rollte und den Saum ihres bordeauxfarbenen Kleides tränkte. Sie schaute nicht auf, als Elias, Nico und Sânge sich ihr näherten, obwohl sie sie zweifellos bemerkt haben musste. Ihr Blick ruhte auf dem Spiegelbild des Mondes, der auf dem Gewässer tanzte.
„Ich habe mir gedacht, dich hier anzutreffen. Es ist eine sternenklare, faszinierende Nacht.“ Sânges Stimme hatte einen sanften, liebevollen Ton angenommen. Es war fast so, als würde er mit seiner Tochter sprechen. „Gestattest du mir dennoch, dich um einen Gefallen zu bitten?“
Naferia nahm sich mit ihrer Antwort Zeit, ließ die Fingerspitzen geistesabwesend über die Oberfläche des Sees gleiten. Der Eingang zum unterirdischen Tunnel blieb offen und das Geräusch der Wogen, die rhythmisch auf die hinabführenden Steinstufen spritzten, erfüllte die Luft. Es trieb Elias eine unangenehme Kälte über den Rücken.
„Ich habe noch genug solcher Nächte vor mir liegen, nicht wahr?“, meinte sie schließlich und sah auf, musterte zunächst ihren Anführer und dann seine beiden Begleiter. „Aber wie oft werde ich schon die Ehre haben können, dir behilflich sein zu dürfen?“
Sânge lächelte zufrieden. „Es liegen unendlich viele solcher Nächte vor dir, das ist gewiss. So nutze diese hier bitte, um meinen Gästen mehr von unserer Familie und deinem Beitritt zu erzählen. Auf dass sie nicht länger nur Gäste sein werden.“ Mit diesen Worten und ohne auf Naferias Einwilligung zu warten, wandte er sich zum Gehen. Sein letzter Blick galt Elias. Ein intensiver, anziehender Blick.
„Ihr gedenkt also zu bleiben?“
In einer fließenden Bewegung erhob sich Naferia vom Boden. Feuchte Erde und Grasbüschel bedeckten den Rock ihres Kleides. Ein Bild, das Nico sichtlich aufwühlte. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah sich unruhig um. Seine Körperhaltung wurde steif – das Gesicht kreidebleich und schließlich zu der typischen gefühlskalten Maske, die er so oft in Gegenwart anderer aufsetzte.
Elias begriff sofort. Dies war immerhin der Ort, an dem sein Freund damals angegriffen worden war. Der Ort, an dem er vor drei Jahren verwandelt worden war. Der Ort, an dem er verdreckt und durchnässt als Vampir zu sich gekommen war.
„Lasst uns ein Stück laufen“, schlug er eilig vor und Naferia hakte sich sogleich bei Nico unter, dem sie gerade einmal bis zur Schulter reichte.
Sie sah ihn und Elias von der Seite an. „Ich muss sagen, ihr gebt ein süßes Paar ab. Und das sage ich, obwohl es nicht meiner Erziehung zu Menschenzeiten entspricht. Ihr müsst wissen, ich komme aus einer streng katholischen Familie.“ Sie grinste. „War ein recht heftiger Wendepunkt in meinem Leben, als ich auf einmal das war, was ich zuvor nur als das Böse in menschlicher Form kannte. Und dementsprechend dauerte es auch seine Zeit, bis ich feststellte, dass ich nach wie vor ich war und kein Dämon. Aber nachdem ich dies begriffen und mein neues Ich akzeptiert hatte, konnte ich das mir geschenkte Dasein leben und lieben lernen. Und das in vollen Zügen, wie ihr gestern mitbekommen habt!“
Sie entfernten sich von dem See und Elias spürte, wie Nicos Anspannung langsam von ihm abfiel.
„Du wurdest also gegen deinen Willen verwandelt?“, fragte Nico vorsichtig nach.
Ein Moment der Stille entstand, ehe Naferia antwortete.
„Ihr müsst das verstehen …“ Zögernd suchte sie nach Worten. „Nachdem Sânge seine Schwester aus dem Zirkel verbannt hatte, litt er unter fürchterlichen Schuldgefühlen. Er war vollkommen leer und handelte im Affekt … Er wollte sich eine neue kleine Schwester erschaffen.“ Die Vampirin hielt inne und begann dann, gedankenversunken zu lächeln. „Ich habe es ihm nicht leicht gemacht – hasste Sânge sogar zunächst für das, was er mir angetan hatte, obwohl er mich wie eine Prinzessin behandelte.“
„Wer könnte dir das verübeln? Er hat dich deiner Familie entrissen.“ Nico klang angewidert, wütend und fassungslos. Doch auf Elias’ Rippenstoß hin riss er sich zusammen. Zu wertvoll könnte jedes Detail von Naferias Erzählungen sein und sie zu verärgern würde ihren Redefluss womöglich stoppen. Stattdessen fragte er: „Sânge hatte eine Schwester? Was geschah mit ihr?“
„Sie waren ein Herz und eine Seele, er und Filanessia. Gemeinsam ließen sie unser unterirdisches Wohnreich errichten. Filanessia suchte sich dabei den Ort am See
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