Blutige Küsse und schwarze Rosen
Diwane. An seiner Seite hatte sich die rothaarige Frau niedergelassen, die Elias und Nico am Abend zuvor empfangen und anschließend hierher gebracht hatte. Apollinea. Sie musterte die beiden mit gesenktem Kopf. Ihre aquamarinblauen Augen funkelten dabei wachsam.
„Wie ich sehe, habt ihr mein kleines Präsent erhalten“, sagte Sânge entzückt und ließ den Blick über seine zwei Besucher schweifen, die die für sie hinterlegten Kleidungsstücke trugen – allesamt in einem satten Schwarz. „Vor allem dir steht das außerordentlich gut, Elias. Du siehst wahrhaftig wie jemand unseresgleichen aus. Nicht nur äußerlich, nein, du strahlst es von innen aus … Sag, wie fühlst du dich?“
Es war eine Frage, wie sie jeder hätte stellen können. Eine Frage ohne tiefere Bedeutung, die meist nicht einmal auf eine ehrliche Antwort aus war. Anders in diesem Moment. Elias spürte nicht nur Sânges neugieriges Augenmerk auf sich ruhen. Sogar Apollinea, die – anders als ihr Anführer – wenig erfreut über seine Anwesenheit wirkte, schien gespannt auf seine Auskunft zu warten. Nico jedoch musterte ihn am intensivsten und Elias kannte auch den Grund dafür. Schließlich war das Leben, das dieses Vampirnest führte, alles, wovon er je geträumt hatte. Hier fand das Leben verborgen vor der Außenwelt und unter Wahrung der klassischen Mythen statt, die Elias von jeher fasziniert hatten. Genau so hatte er sich das Dasein als Vampir immer vorgestellt und gewünscht. Zumindest vor seiner Verwandlung.
Nun hingegen, da dieses Leben tatsächlich zum Greifen nah war und die Aussicht auf ein normales Leben dahin zu schwinden drohte, war die Normalität plötzlich gleichermaßen verlockend.
„Du weißt, dass du hierher gehörst“, ergriff Sânge von Neuem das Wort, als Elias selbst nach unzähligen Sekunden nichts erwiderte. „So wie dein Freund, für den ein Leben unter Menschen nun nicht mehr infrage kommen kann, gehörst du ebenfalls nicht mehr dorthin. Da draußen ist kein Platz für Wesen wie uns. Immer schon fürchtete und jagte man uns, weil wir über den Sterblichen stehen. Sie stießen ihren eigenen Angehörigen Steine in die Mundhöhlen und Nägel in die Schläfen, setzten sie auf diese Weise bei, um ihnen ein Wiederkehren als höhere Macht, als Untote, unmöglich zu machen …“ Trotz dieser Worte lächelte Sânge beinahe friedlich. „Unsere Spezies mögen an ihren Wurzeln miteinander verankert sein, dennoch sind wir so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Schließt euch uns an und legt euer altes Dasein ab. Eure menschlichen Namen und Taten wären nicht mehr als die Erinnerung an ein kümmerliches Leben, denn fortan wärt ihr etwas Höheres. Weshalb also menschliche Lasten nicht abwerfen? Unser Kreis wird euch gerne in seiner Mitte aufnehmen. Hier seid ihr unter Euresgleichen und werdet alles bekommen, wonach ihr begehrt: von dem existenziellen Blut bis hin zu materiellen Dingen. Es wird euch an nichts mangeln.“
Sânges Worte hatten nichts von einer Bitte oder einem Angebot, das hätte abgelehnt werden können. Er schien bereits sicher, dass sich Elias und Nico seinem Vorhaben beugen würden. Apollinea aber räusperte sich.
„Möglicherweise wäre eine vorschnelle Entscheidung unklug“, sagte sie gedehnt, wählte die Worte sehr nachdenklich. „Für beide Seiten. Es sollte nichts übereilt werden.“
Für den Bruchteil einer Sekunde war Sânges Gesicht von blankem Zorn gezeichnet. Er war es offensichtlich nicht gewohnt, dass jemand es wagte, seinen Willen zu durchkreuzen. Doch fing er sich und seine Emotionen schnell wieder.
„Meine Liebste hat noch gewisse Zweifel bezüglich eures Aufenthaltes. Sie fasst nur sehr schwer Vertrauen, nehmt es ihr nicht übel. Selbstverständlich könnt ihr mein Angebot erst einmal überdenken. Schließlich möchte ich niemanden zu etwas drängen.“ Lächelnd erhob er sich. „Ich halte es für das Beste, wenn ihr mit dem neusten Mitglied unseres Kreises, unserer Familie, redet, bevor auch ihr den Weg zu uns findet. Naferia kennt ihr ja bereits. Sie trat uns vor nicht allzu langer Zeit bei und hat somit vielleicht den engsten Draht zu euch. Sie wird sicherlich all eure Fragen beantworten. Lasst mich euch zu ihr führen.“
Von Sânge begleitet, verließen Elias und Nico den Saal – Apollineas bohrenden Blick bei jedem Schritt im Nacken.
Der Weg brachte sie in die kreisrunde Eingangshalle und von dort aus durch den nassen, dunklen Gang ins Freie, wo sie Naferia gleich
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