Blutige Nacht: Roman (German Edition)
seines Schädels hinzieht wie bei einem Irokesen. Niedlich.
Ich gebe ihm großzügig Trinkgeld für seine Umstände, dann ziehe ich das Foto von Raya aus der Tasche und zeige es ihm. »Schon mal gesehen?«, frage ich und muss fast brüllen, um mich verständlich zu machen.
Er beugt sich vor, schüttelt den Kopf und antwortet etwas zu schnell: »Nö.«
Die Lüge knallt mir ins Gesicht wie die Ohrfeige einer Lady. Ehe er davonkommen kann, greife ich nach dem dicken metallischen Bullenring, der aus seiner Nase baumelt.
Es wäre schön, wenn der Blick es einem ermöglichte, Leuten Informationen zu entlocken, doch das tut er leider nicht. Er ist ein praktisches Werkzeug, doch man kann damit nur Befehle erteilen oder Erinnerungen verändern. Informationen muss ich mir erschleichen. Oder mit Gewalt erzwingen.
»Sieh noch mal hin«, sage ich, ein gefährliches Blitzen in den Augen, das Schmerzen und die Aussicht auf einen sehr qualvollen Tod verspricht.
Er sieht erneut hin.
»Hast du sie hier mal gesehen?«
»Ja, habe ich.«
»Wann war das?«
»Vielleicht vor drei Wochen …«
»War sie oft hier?«
»Das war sie, bis wir herausgefunden haben, dass sie einen falschen Ausweis benutzte. Den mussten wir ihr abnehmen, und seitdem durfte sie hier nicht mehr rein.«
»Mit wem hat sie so abgehangen? Ist einer davon heute da? Sieh dich um.«
Ich lasse seine Aufreißlasche unter der Nase los, damit er einen Blick über die Menge werfen kann. Schließlich schüttelt er seinen Dämonenkopf und zuckt mit den Schultern. »Sie ist immer mit einem Typen gekommen, der etwas älter ist als sie. Er kommt noch häufig, aber heute sehe ich ihn nicht.«
Davon ausgehend, dass es sich bei dem Typen um ihren achtzehnjährigen Freund handeln muss, probiere ich etwas aus. »Dieser Kerl – heißt der Scotty?«
»Ja, genau, irgendwas in der Richtung.«
Jetzt wende ich meinen Blick bei ihm an. »Ich werde noch eine Weile hier sein. Wenn du ihn siehst, gibst du mir ein Zeichen.«
»Ich gebe dir ein Zeichen.«
»Braver Junge. Und lass den Alk rüberwachsen. Aufs Haus.«
»Aufs Haus«, wiederholt er und trottet in den Schatten hinter der Bar zurück.
Ich sitze da. Trinke. Rauche. Keiner in dieser Absteige scheint sich großartig um eine so weitverbreitete, schlechte Angewohnheit wie Rauchen zu scheren, als dass er rüberkäme und mich deswegen schikanierte. Im Grunde genommen ist dieser Schuppen vielleicht gar nicht mal so übel.
Zeit verstreicht. Eine dünne, sehr nervöse Lady in einem Was-auch-immer ganz in Schwarz kommt auf einen Drink rüber zur Bar. Sie betrachtet meinen Anzug, meinen Hut und sagt mir, ich erinnere sie an ihren Vater.
»Aha. Und das törnt dich an?«, frage ich.
Sie zuckt mit den Schultern: »Irgendwie schon.«
»Also, das ist ja mal lustig, denn du erinnerst mich an meine tote Ex-Frau.« Das ist keine Lüge, das tut sie. Zumindest ein bisschen. In den meisten Fällen würde ein solches Zugeständnis das Ende des Gesprächs bedeuten. Aber nicht hier.
»Wirklich? Das ist ja cool. Wie ist sie gestorben?«
»Ich habe sie umgebracht. Ich wollte das nicht, aber sie hat mich dazu gebracht.« Das erfüllt seinen Zweck. Als ich das nächste Mal aufsehe, ist das Gerippe mitsamt seinem Drink verschwunden.
Bite Me verlassen die Bühne, doch ihr Sound wird viel zu schnell von dem noch schlimmeren Lärm einer Band abgelöst, die sich Sinister Ministers nennt und die Bühne in Priesterkluft mit weißem Kragen betritt.
Ich gehe auf die schwarz gestrichene Toilette, wähle dort eine in Schwarz gehaltene Kabine und setze mir einen Schuss. Ich nehme an, dass ich etwas zu lange darin verweilt habe, denn jemand hämmert von außen an die Tür und fragt, ob ich hier gerade etwa entbinden würde. Ich packe mein Besteck weg und betätige zum Schein die Spülung.
Vor der Tür wartet ein Teenie mit ungekämmtem schwarzem Haar, schwarzen Nägeln und schwarzem Lippenstift.
»Wird auch Zeit«, sagt er mir.
Ich mustere ihn von Kopf bis Fuß. Nennen Sie mich altmodisch, aber ich mochte es, als die Männer, die man so traf, wirklich noch nach Männern aussahen. Dieser Teenie sieht aus wie ein Frauenzimmer. Und noch dazu wie ein hässliches.
»Bist du sicher, dass du auf der richtigen Toilette bist?«, frage ich ihn.
»Bist du sicher, dass du im richtigen Jahrzehnt bist?«, feuert er zurück.
Gut gekontert. Ich nicke, zucke mit den Schultern, gehe zum Waschbecken, mache mich frisch. Als ich zurück bei meinem frisch
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