Blutige Seilfahrt im Warndt
Schnur. »Erik hat heute Morgen noch etwas Interessantes herausgefunden. Erinnerst du dich, dass sich im Jahr 1999 ein Grubenunglück ereignet hat, bei dem zehn Männer starben?«
Andrea schüttelte den Kopf.
»Damals hat es in den Berichten der Bergleute Unstimmigkeiten gegeben.« Schnur legte eine kurze Pause ein, bevor er weitersprach: »Zwei der Männer hätten zur Unglückszeit gar nicht in diesem Stollen sein sollen, und genau diese beiden Männer sind niemals gefunden worden.«
Kullmann steuerte seinen Wagen langsam über die Kaiserstraße auf sein Haus zu. Als er den Grumbachtalweg passierte, richtete sich sein Blick wie gewohnt nach links. Seit Anke wieder zu Hause war, fühlte er sich ruhiger. Er hatte keinerlei Recht, sich in ihr Leben einzumischen. Und schon gar nicht, wenn sie eine Kur für sich und ihr Kind antrat. Und doch war es ihm über die sechs Wochen nicht wirklich gelungen abzuschalten. Er sorgte sich um sie, als sei sie seine Tochter.
Auch wenn seine Frau mit ihm nicht darüber gesprochen hatte, so war ihm doch schnell klar gewesen, dass Martha ähnlich empfand. Sogar den Mord hatte er vergessen. Anke und Lisa gaben ihm das Gefühl, in einer richtigen Familie zu leben. Davon konnte er gar nicht genug bekommen.
Doch was war das?
Dort stand Eriks neuer Wagen. Beim letzten Fall war sein BMW zu Schrott gefahren worden. Der Anblick des neuen Volvo ließ ihn sofort wieder an die Grube denken. Ohne nachzudenken, blinkte Kullmann und bog in den Grumbachtalweg ein.
Nach dem Klingeln wurde er von Lisa stürmisch begrüßt. Er nahm sie mit Freude auf den Arm, obwohl sie immer schwerer wurde, und trug sie in die Wohnung hinein.
Auf dem Sofa saß Erik.
Er setzte das Mädchen auf dem Boden ab, trat auf den Kriminalkommissar zu und grüßte ihn: »Ich hätte mir unser Wiedersehen an einem anderen Ort gewünscht.«
»Ich auch«, gab Erik zurück, womit er Kullmann ein Stirnrunzeln entlockte.
»Wie meinst du das?«
»Wir sind bei unseren Ermittlungen auf das Grubenunglück im Jahr 1999 gestoßen. Damals bist du zur Grube Warndt gerufen worden, um die Unstimmigkeiten zu klären, die durch die Aussagen der Bergleute aufgekommen waren.«
»Stimmt. Und warum habt ihr mich nicht gerufen?«
»Zuerst war nicht klar, ob es sich wirklich um Mord handelt«, erklärte Erik. »Erst seit Donnerstag wissen wir das mit Bestimmtheit.«
»Da liegen aber zwei Tage dazwischen.«
»Wir dachten, dass du dich mit Anke unterhalten willst nach dieser langen Zeit, die sie in Kur war.«
»Ach! Am Donnerstag war Anke noch nicht zurück.«
»Warum bist du nicht zu uns gekommen?«, fragte Erik nun ungeduldig zurück, womit er Kullmann aus dem Konzept brachte.
Er ließ sich neben Erik auf die Couch sinken und erkannte, dass er sich wie ein alter Narr verhalten hatte. Wollte seinen Kopf durchsetzen und warten, dass man ihn um Hilfe bat. Dabei war er bisher auch nicht so anmaßend gewesen, sondern hatte sich immer wieder mal auf seiner ehemaligen Dienststelle blicken lassen. Er rieb sich über die Stirn und meinte: »Du hast recht. Ich hätte ja zu euch kommen können.«
Anke trat mit duftenden Kaffeetassen ins Wohnzimmer, stellte sie vor ihren beiden Gästen auf den Tisch und setzte sich.
»Ich hoffe, ihr vertragt euch, wenn ich mal nicht dabei bin«, sagte sie und grinste spitzbübisch. »Was ist los?«
Erik verzog sein Gesicht und antwortete: »Da du am Montag ohnehin wieder zur Arbeit kommst, kann es ja nicht schaden, dich schon gleich in den Fall einzuweihen, den wir gerade bearbeiten.«
»Ich war mir noch gar nicht so sicher, ob ich wirklich wieder am Montag kommen will«, protestierte Anke.
»Es wäre aber gut für uns«, meinte Erik. »Bernhard ist auf einer Fortbildung und Esther hat unbezahlten Urlaub. Sie hat einen neuen Typen aufgerissen, mit dem sie jetzt Hochseefischen geht – oder so was ähnliches.«
Kullmann grinste und meinte: »Martha freut sich, wenn sie Lisa wieder betreuen darf.«
Anke gab nach: »Wenn das so ist, kannst du uns ruhig auf den neusten Stand der Ermittlungen bringen.«
Erik berichtete so detailliert über den toten Bergmann zwischen Seilscheibe und Stahlseil, dass Anke angewidert das Gesicht verzog. Nachdem er die wenigen Fakten ihrer Ermittlungen aufgezählt hatte, ebenso die Überraschung darüber, dass Anton Grewe mal als Bergmann gearbeitet hatte, fügte er an: »Deshalb wird Grewe am Montag mit unter Tage fahren und undercover ermitteln. Die Männer dürfen nicht wissen,
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