Blutige Spuren
«
Ekker nickte.
» Weiter! Der Verkäufer im Sexshop? Ein ehemaliger gemeinsamer Bekannter? Unschuldig? «
Ekker nickte.
Sternenberg sah Lichtenberg sich allmählich der Tür nähern. Länger konnte der die geballte Bundesmacht wehender Mäntel nicht aufhalten.
27
Auf jedem Schornstein klebte eine Wattewolke. Über der Gartenstadt Staaken lag schwer die Decke aus Schnee. Sie dämpfte den Ton und – wie es schien – auch den Lauf der Zeit.
In Rolf Korbmanns Küche knisterten und knackten Nusskerne in der Pfanne, während er ein Honig-Senf-Dressing einrührte und sich anschickte, es über den Salat zu träufeln.
» Und deine Chefin wird die neue Berliner Polizeipräsidentin? « , fragte er.
» Das Spiel ist aus « , antwortete Sternenberg und pickte vorsichtig einen Pinienkern aus der Pfanne. » Sie haben sich für einen Mann entschieden, der bereits elf Jahre Erfahrung als Polizeipräsident hat. Aus Xanten, Kalkar oder irgendwo da aus der Nähe. «
Korbmann nickte, als hätte er es sowieso gewusst. Er nahm Sternenberg die Pfanne weg und suchte nach einem Löffel, mit dem er die Nusskerne verstreuen könnte. » Und dieser … Euer Vizepräsident? Meinst du, der lebt noch? «
» Nur, wenn sein zweiter Entführer ihn so untergebracht hat, dass er trinken und essen kann und ausreichend Sauerstoff hat. «
» Der zweite Entführer, das ist der, von dem du sagst, er wurde ermordet? «
» Genau. «
» In der Zeitung steht über Haberstein nur das mit dem Schlaganfall. «
» Ja « , sagte Sternenberg, » ich staune, dass es mit der Geheimhaltung so lange klappt. Wahrscheinlich interessiert sich in Berlin einfach niemand für einen Vizepräsidenten. « Korbmann grinste. » Das macht Berlin ja auch irgendwie sympathisch. «
» Kommt drauf an. Wir sagen: Er hat einen Schlaganfall, und kein Journalist fragt nach, in welchem Krankenhaus er liegt. «
» Und was glaubst du, Kai? Wo ist er? «
Sternenberg nahm von Korbmann die Pfanne wieder zurück und machte sich, mit dem Löffel bewaffnet, über den Rest des Dressings und ein paar Nusskrümel her. » Hm, der Polizeivizepräsident von Haberstein war ja in die Hände von Illusionskünstlern gefallen. Wahrscheinlich haben die ihn weggezaubert. «
Nachdem sie gegessen hatten, fühlte Sternenberg den Drang, sich zu bewegen.
Er stand auf und wanderte einmal quer durchs Zimmer. » Falls nach diesem Mahl dein Gehirn noch durchblutet ist, Rolf … Nehmen wir mal an, du dürftest nur noch von einem einzigen Musikstück eine Aufnahme besitzen … « , sagte er und betrachtete die Wand voller CD s, deren Cover Korbmann fast alle mit eigenen Ölbildern gestaltet hatte. » Ich weiß, die Frage ist unfair. Aber welches Stück würdest du dann wählen? «
» Japanische Grasflöte. «
» Oje. Ich wollte dich gerade bitten, mir das vorzuspielen, aber ich glaube, das ist mir zu hart. «
» Na gut. Dann Chatschaturjan, Gayaneh-Ballet-Suite . « Er ging ans Regal und griff zielgenau zu, keinen Zweifel lassend, dass Sternenberg diesmal nicht davonkäme.
Als das Streicher-Adagio begann, stand Sternenberg am Fenster. Der Rauch stieg so langsam aus den Schornsteinen, wie die Melodie getragen durch den Raum hallte. Der Rauch war so weiß, als wäre er Schnee, der wieder in den Himmel steigt.
Sternenberg merkte, wie er sich in den gezogenen, gegenläufigen Tönen fast verlor. Korbmann stellte sich neben ihn und sah ebenfalls aus dem Fenster. Plötzlich schwenkte der Arm eines Baukrans, der weit über die gezuckerte Staakener Gartenstadt hinausragte und den er bis eben aus seinem Blick ausgeblendet hatte, in einer schnellen, halben Drehung um seine Achse. Der Ausleger kam in dem Moment zum Stehen, als die drei letzten, harmonischen Töne die Suite beendeten.
Er hatte Mühe zu sprechen.
» Und du? « , fragte Korbmann. » Sag’s nicht … «
» Hm. Doch! Janis Joplin. Ball and Chain, Liveaufnahme Monterey, 17. Juni 1967. «
» Du merkst dir so viel unnützes Zeug « , sagte Korbmann und tippte am Computer herum. Nach einer Weile konnte er eine Datei aus dem Netz laden und deutete auf ein Foto. » Das ist ja mal ganz nett. «
Die Joplin saß auf einem Sessel und lachte. Ihre Haare rot und pink, Ketten über der Bluse, weite blau-rosa Ärmel, eine Strickweste, ein Glas in der Hand. Ringe an den Fingern. Eine Ikone.
» Nee « , sagte Sternenberg. » Mag ich nicht. Ist aus ihrer Pearl -Zeit. Sie hat eine Kunstfigur erschaffen, Pearl. Das heißt, das war nicht sie, sondern ihre
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