Blutige Spuren
inszenierte … Maske. Ich mag es lieber, wenn sie authentisch ist. «
» Gibt’s denn heute noch authentische Leute in der Branche? « , fragte Korbmann. Er mühte sich noch immer mit der Datei.
Sternenberg setzte sich in den Sessel. » Heute wissen Frauen und Männer im Popgeschäft, wie man sich inszeniert. Sie hat das noch nicht gekonnt. Sie hat’s nur versucht. In Ball and Chain gibt es eine Pause, in der Mitte des Stückes, wirst es ja gleich hören. Sie hat es »das Loch « genannt, und darin kommen ihre Gefühle hoch, alle echten Emotionen. Ich kenne keinen aus dem Geschäft, der das heute noch macht – oder auch nur kann: sich die Seele aus dem Leib singen. Und der nach einem Lied so ausgepowert ist, wie sie es war. «
Korbmann hatte die Musikdatei gestartet und setzte sich. Sie hörten dem Gitarrensolo so andächtig zu wie zuvor den Leningrader Philharmonikern. Als die A-cappella-Passage begann, schloss Sternenberg die Augen.
28
Isabel klopfte mit der Kante des Besucherausweises auf die Tischplatte. Es sollte ein Gegenrhythmus zu der Fado-Melodie sein, die ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte. Liberdades poéticas. Immer wieder war dieser Fado da. Endlich öffnete sich die Tür, und Polizeidirektor Angermann betrat seinen Meetingroom. Ohne Prinz-Heinrich-Mütze ähnelte er einem richtigen Menschen.
» Ich hatte mit einem Ihrer Vorgesetzten gerechnet. Aber bitte, nehmen Sie Platz. Sie wollen über Klaus von Haberstein sprechen? «
» Wir suchen ihn mit allen Mitteln « , sagte sie. » Und wir glauben, dass nun endlich die Öffentlichkeit informiert werden muss, um ihn zu finden. Es gibt keinen triftigen Grund mehr, seine Entführung geheim zu halten. «
Angermann lächelte. » Leider kann ich nichts dazu sagen. «
» Ich habe keine Information von Ihnen erwartet « , sagte Isabel und versuchte, Angermanns Lächeln zu spiegeln. » Stattdessen möchte ich Ihnen unsere Informationen geben. Wir denken, dass das für Ihre … Gespräche mit Josef Ekker nützlich ist. « Sie betrachtete den Besucherausweis, den man ihr gegeben und den sie nicht angesteckt hatte. » Wir gehen davon aus, dass er nicht weiß, wo Haberstein steckt. «
» Und welche Information haben Sie? « , fragte Angermann und tat so, als ob er nach etwas suche, das sich links oder rechts von ihm im Imaginären versteckte.
» Nun, es ist noch keine geschlossene Beweiskette. Aber wir haben eine Theorie. «
Angermann lehnte sich zurück. » Ich bin mehr für die Praxis als für die Theorie, aber lassen Sie hören, Frau Oberkommissarin. «
Sie korrigierte ihn nicht. » Josef Ekker arbeitet seit einigen Jahren als Wurst- und Fleischlieferant. Wir sind uns noch nicht sicher, ob er die Bekanntschaft mit Frank Huth erst im Restaurant Dreihirtenhaus gemacht hat oder ob die beiden sich schon früher über den Weg gelaufen sind. Gemeinsame Haftzeiten müssen wir ausschließen. Jedenfalls träumte Ekker vom schnellen Geld und schnappte eine Idee von Frank Huth auf: ›Entführ doch einfach eine große Nummer. Den Polizeipräsidenten. Das ist einfacher, als man glaubt. Und es gibt ein Riesenspektakel. Du kannst Millionen Lösegeld fordern!‹ Vielleicht hat Huth das gar nicht ernst gemeint, aber Ekker hatte nun solche … brincadeiras … Flausen im Kopf. Er ist aber kein krimineller Profi. Sucht sich eine Adresse heraus, wartet auf einen scheinbar günstigen Augenblick und zerrt den – wie er glaubt – Polizeipräsidenten von Berlin aus dessen Haus. Seine Lösegeldforderungen werden nicht gehört, weil die Frau von Haberstein allein auf Reisen ist. Das weiß Ekker aber nicht. «
Angermann saß ohne Regung da.
Isabel fuhr fort: » Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, bricht er erneut ein und veranstaltet die Mordssauerei mit den blutigen Därmen im Haus der Habersteins. Profis würden stattdessen ein Foto schicken, eine Stimmprobe oder im schlimmsten Fall ein abgehacktes Fingerglied. Ekker hingegen hofft, dass er auch ohne so etwas sein Geld bekommt. Doch nicht die Ehefrau stößt auf die Därme, sondern die Putzfrau. «
» Eine Österreicherin, ordentlich angemeldet. «
Isabel nickte und verdrängte die Frage, was Angermanns Ablenkung sollte. » Allmählich dämmert es selbst Josef Ekker, dass er nicht den Polizeipräsidenten, sondern dessen Stellvertreter entführt hat. Er fürchtet um sein Geld. Und nun begeht er seinen fatalen Fehler: Er läuft zu Frank Huth und berichtet ihm von dem Desaster. Wahrscheinlich sucht er
Weitere Kostenlose Bücher