Blutige Spuren
feucht vom Nieselregen, nur unter den größeren Nadelbäumen sah es etwas trockener aus. Er blickte sich in alle Richtungen um. Es wurde schon dunkel, und die Frauen und Männer in den weißen Anzügen der Spurensicherung schlichen innerhalb des Absperrbands wie Waldgeister zwischen den Bäumen herum, mit langsamen Bewegungen und als ob sie schwebten.
Ein Spaziergänger wird erstochen. Das kommt vor in städtischen Wäldern, dachte Sternenberg. Gusewski musste sich sogar seinem Täter entgegengestellt haben. Von Seesand ließ sich das nicht sagen. Die Beschaffenheit des Blutes konnte auf den ersten Blick noch keine Auskunft darüber geben, ob zwischen den beiden Taten eine halbe Stunde lag oder ein halber Tag. Abgesehen von einem Messer als Tatwaffe und einer räumlichen Nähe der Leichenfundorte gab es keine erkennbaren Gemeinsamkeiten.
Was Sternenberg ein wenig an der Theorie eines zufälligen Zusammentreffens dieser beiden Morde zweifeln ließ, war die Kleidung, die Seesand trug. Entweder hatte der Täter ihm die Jacke abgenommen – wofür nicht sehr vieles sprach. Oder Seesand war ein total abgehärteter Asket, der selbst bei diesem unangenehmen Sprühregen und bei dieser Blitzeisgefahr nur ein dünnes Stoffjöppchen zu tragen pflegte.
Der Täter hatte auf das Opfer eingestochen und es schwer verletzt. Seesand war entweder geflüchtet, oder der Täter hatte sein Todeswerk aus einem anderen Grund nicht zu Ende bringen können respektive wollen. Haben wir es mit jemandem zu tun, der sich versteckt und dann vor Waldspaziergängern aus dem Busch springt und auf sie einsticht? Ein Motiv ist nicht erkennbar, zumal es offenbar nicht um Raub ging. Aber schließlich gibt es genug Verrückte. Vielleicht hat sich der Täter gar nicht versteckt. Vielleicht lief er vor seinem Opfer und hat sich plötzlich umgedreht. Oder er kam ihm entgegen. Und wenn das Opfer den Täter sogar kannte?
Kai Sternenberg sah hinüber zu der Stelle, an der die Leiche im Laub lag, das Gesicht zur Seite gedreht. Isabel und Tarek knieten in einigem Abstand und registrierten anscheinend gerade die Blutstropfen.
Presse war nicht da. Die Zeit, in der Boulevardblätter eigene Reporter und Knipser an derartige Tatorte schickten, war lange vorbei. Es war zu aufwändig. Lieber pflegte man die Kontakte mit den Behörden und ließ sich später ein Foto unter der Hand übermitteln, dazu Privataufnahmen aus der Familienschatulle. Fragen wurden schon gar nicht gestellt. Jedenfalls nicht bei einfachen Morden. Es war auch leichter, sich einen spekulativen Artikel aus den Fingern zu saugen, als sich mit den Barrieren der polizeilichen Informationspolitik auseinanderzusetzen.
Aus dem Graubraun des Unterholzes löste sich einer der weißen Waldgeister von der Spurensicherung und näherte sich ihm mit staksigen Schritten. Sternenberg erwartete eine der üblichen Floskeln: Jetzt müssen wir mal an die Leiche. Bevor es zu dunkel wird. Scheinwerferwagen noch nicht da. Obduktion abwarten. Oder so was.
» Hauptkommissar Sternberger? «
» Sternenberg, ja. «
» Roth, von der Spurensicherung, guten Abend! Ich muss Sie davon in Kenntnis setzen, dass wir eine weitere Leiche haben. «
» Ich weiß, danke. Adam Gusewski. Etwa vierhundert Meter von hier. «
» Nein. Ein gewisser Frank Huth. Keine hundert Meter. Dort drüben. Es wird Sie vermutlich nicht besonders überraschen: Er wurde erstochen. «
Isabel hatte einen Stadtplan besorgt. Die SpuSi stellte etwas Licht zur Verfügung.
» Also « , resümierte Sternenberg, » hier haben wir Gusewski gefunden, den Blechen-Maler, Jagen 68. Hier unten, Jagen 69, liegt Seesand, vorher augenscheinlich noch ein gutes Stück verletzt durch den Wald gelaufen, in Richtung Süden. Wohin kommt man da? Zum Wannsee? «
» Das Wannseebad ist mindestens drei Kilometer entfernt « , meinte Tarek. » Von hier aus kommen als Erstes die Schießstände, danach die Havelchaussee. Oder wenn er hier links abgebogen wäre: die AVUS . Ich glaube aber nicht, dass er ein bestimmtes Ziel vor Augen hatte. Er hat Blut verloren und wollte einfach weg vom Tatort oder vom Angreifer. «
» Und jetzt Frank Huth. Ebenfalls im Jagen 69, dabei näher am Kronprinzessinnenweg. Irgendwelche Informationen von den Streifenwagen, Tarek? «
» Das Blut ist bei allen drei Opfern so trocken, dass es keinen Sinn gemacht hat, im Grunewald noch nach Tätern zu suchen. Die Spaziergänger wurden gefragt, ob sie etwas gesehen haben. Fehlanzeige. Und, Kai, der
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