Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutige Spuren

Blutige Spuren

Titel: Blutige Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Liemann
Vom Netzwerk:
zurück, bevor es dunkel wird. Ich kann Sie auch nicht fahren, obwohl der Weg dafür geeignet ist. Ich muss meine Frau und die Kinder in Bayreuth abholen. Und dann nach Kaltensteinach weiter. «
    » Auf welcher Seite liegt die Hohe Wacht mit der Markgrafenheide? Hier über der Kirche? «
    » Nein, hier oben ist das Jägerhaus. Sie müssen hinunter und drüben wieder hoch. Das alleine kostet sie fast eine Stunde. Bis Sie dann an der Himmelsleiter sind … Nein, machen Sie das morgen. «
    » Könnten Sie mich hochfahren, bis zum Waldrand? Dann können Sie mir gleich zeigen, wo ich meinen Weg ansetzen muss. «
    Grimm grinste. » Wenn Sie unbedingt wollen, natürlich. Wir nehmen meinen Wagen, bei dem Sie die Reifen angeschraubt haben. Mal sehen, ob Sie ein Saboteur sind. «
    Sternenberg stellte seinen Wagen unten an der Ortsstraße ab. Hinauf fuhren sie im Wagen des Pfarrers. Während der Fahrt unterhielten sie sich weiter.
    » Sie sollten überlegen, ob Sie das Richtige tun. Sie haben keine Wanderausrüstung. «
    » Ich habe eine Flasche Wasser. Und ein Handy. Die Schuhe sind ganz gut. Und ich habe einen schnellen Gang. «
    » Haben Sie eine Waffe? «
    » Wieso? «
    » Nur so, ich dachte, als Polizist. «
    » Ich bin mehr oder weniger privat hier. Jedenfalls prinzipiell. «
    » Bis zur Hohen Wacht geht es bergauf. Bis dahin könnten Sie es noch in der Dämmerung schaffen. Aber auf dem Rückweg wird es dunkel. Im Wald ist das kein Vergnügen. Sie sind allein. Haben Sie keine Angst? «
    Sternenberg lachte. » Ich fürchte mich nicht im Dunkeln. Ich fürchte mich vor dem Zahnarzt. Und vor einer bestimmten Art sehr schöner Frauen … Und wenn ich daran denke, dass meinen Töchtern etwas zustoßen könnte, dass jemand sich an ihnen … Davor habe ich eine mörderische Angst. Fast Panik. Aber Dunkelheit ist zum Glück das Letzte, das mich schreckt. «
    » Na gut, Sie müssen es wissen. Sie sind Stadtmensch. «
    » Na, aber das kann man alles lernen, oder? Sie hat es doch auch aus Berlin hierher verschlagen. Weshalb eigentlich? «
    Der Pfarrer lächelte und hupte einem Bus zu. » Nach dem Theologiestudium gab es in Berlin zu viele Absolventen für zu wenige Vikariate. Dann kam die Maueröffnung, und viele von uns wurden ins Umland gesandt. Mein Arbeitgeber hieß ja nicht umsonst seit ewigen Zeiten Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg. Sogar während der DDR -Zeit. Aber ich bin da nirgends warm geworden. Das war eine andere Kirchentradition, als ich sie aus Berlin-Spandau gewohnt war. Wissen Sie, manche Spandauer halten sich ja für etwas Besonderes. Das ist natürlich Quatsch. Aber in der Kirche sind sie etwas Besonderes. Da gibt es zumindest noch Ansätze von Basisdemokratie. Anstelle eines Superintendenten für den Bezirk haben wir ein Kollegium, das wir wählen. In der DDR beziehungsweise in den neuen Bundesländern gab es auch demokratische Entwicklungen, aber eben ganz andere. «
    » Und dann haben Sie sich hierher beworben? «
    » Richtig. Wissen Sie, warum? Sie werden lachen. Irgendwann nach dem Krieg machte in Spandau ein Reisebüro auf. Sie spezialisierten sich auf das Fichtelgebirge, und zwar auf diesen Ort hier. Sie hatten einen Bus, der pendelte zwischen Spandau und Steinachtal. Deshalb sind die meisten Touristen hier immer Berliner gewesen, und noch schlimmer: Spandauer. Meine Eltern waren dabei, und als ich auf die Welt kam, nahmen sie mich mit. Ich habe fast jeden Sommerurlaub hier verbracht. «
    » Und dann werden Sie in diesem Ort Pfarrer. Das ist natürlich toll. «
    » Sozusagen ein nie endender Urlaub. «
    » Na « , sagte Sternenberg, » das glaube ich Ihnen nicht. Es ist bestimmt ganz anders, als Sie es sich vorgestellt hatten. «
    » Als Junge habe ich hier zum ersten Mal Kühe gesehen. Als Berliner! Hier konnte man in den Wald gehen und sich den Bauch mit Blaubeeren vollschlagen, hier konnte ich mit den Kindern vom Ort bis abends draußen bleiben, wurde auf dem Traktor mitgenommen, habe eine Schlange gesehen, war beim Imker dabei … Und hier darf ich arbeiten, das ist schon toll. Hab’ sogar meine Frau im Fichtelgebirge kennengelernt. Natürlich gibt es ganz besondere Probleme, und manchmal wünsche ich mir eine echte Kreuzberger Gemeinde mit acht Beerdigungen in der Woche und dieser wunderbaren Anonymität. Aber dann liege ich auf der Wiese, sehe meine Kinder spielen, niese mich zu Tode, sehe, wie der Wind durch das Getreide geht und rieche den Wald oder habe meinen Stammtisch mit den Leuten …

Weitere Kostenlose Bücher