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Blutige Spuren

Blutige Spuren

Titel: Blutige Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Liemann
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und das in der Dunkelheit.
    Wolken schoben sich über den Himmel, der durch die Bäume sichtbare Teil verwandelte sich von milchig zu aschefarben. Auf Regen bin ich am schlechtesten vorbereitet, dachte er. Ein Feuerzeug habe ich dabei. Aber was mache ich gegen Regen mit einem Feuerzeug?
    Es dämmerte bereits. Er zählte seine Schritte, sah immer wieder auf die Uhr und versuchte, seine Geschwindigkeit genauer zu bestimmen.
    Der Weg war mäßig abwechslungsreich. Es gab Lichtungen mit Hochständen, gestapelte Baumstämme am Wegesrand, zusammengewürfelte Findlinge und hin und wieder den Geruch von Pilzen.
    Eine Viertelstunde früher als erwartet erblickte er eine Bank, einen kaum ein Meter hohen, unförmigen Meilenstein und um ihn herum drei hohe Fichten. Ringsum Überreste von Gras.
    Die Dämmerung war weiter vorangeschritten. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, bis morgen zu warten. Er sah sich um. Auf dem ganzen Weg war ihm kein Mensch begegnet. Auch hier war alles leer.
    Sternenberg ging näher an den Stein heran. Der in den Waldboden eingelassene Sockel war quadratisch, das obere Ende musste einmal dreieckig gewesen sein, aber das Wetter hatte ihm über die Jahrhunderte hinweg zugesetzt. Er erkannte die Inschriften, wie Pfarrer Grimm sie ihm geschildert hatte. Allerdings war die Jahreszahl » 1605 « im unteren Teil eingemeißelt, während » Ein Gott « im oberen Teil stand. Das muss gar nichts heißen, dachte er. Jeder kann so einen Grenzstein kleiner gemacht und Neues in ihn hineingeschlagen haben.
    Dann versuchte Kai Sternenberg, die alte Bezeichnung » Laineck « unter » Ein Gott « zu erkennen. Das Dach der Äste verschärfte den Dämmerungseffekt, mit bloßen Augen war sie nicht zu erkennen. Er nahm sein Handy, schaltete es an und leuchtete mit dem Display, über dessen Helligkeit er sich bei Einsätzen oft geärgert hatte, in Richtung der Inschrift. Immer wenn er einen Buchstaben unter der Schrift erkannte, schaltete sich der Energiesparmodus des Handys ein. Sternenberg fluchte.
    So kam es, dass der Kommissar aus Berlin in der Markgrafenheide vor einem vierhundert Jahre alten Grenzstein kniete, in der einen Hand ein Handy schwenkend, in der anderen ein brennendes Feuerzeug. Wer daran glaubte, dass dies ein Grabmal war, hätte die Szene für einen sonderbaren Kult gehalten.
    Sternenberg sah sich das Display an. Funkloch, dachte er. Außerdem hält der Akku nicht mehr lange. Er schaltete das Mobiltelefon ab.
    Er schaute sich um, versuchte so viel wie möglich zu erkennen, und fühlte, dass seine Instinkte weiter die Oberhand gewannen. Sie waren damit beschäftigt, das Terrain zu sichern und sich für alle Fälle auf Flucht vorzubereiten. Vielleicht wäre ich entspannter, wenn ich schon als Kind abends und nachts in den Wäldern gewesen wäre. Er dachte an den Rumtopf der alten Frau Bergbauer, der stand in seinem Auto. Er dachte an Essen und den wärmenden Effekt von Alkohol.
    Warum liegt unter einem Stein, der keine Personennamen trägt, angeblich ein Grab? Und wenn das hier ein Grab ist – wer besucht eigentlich die Toten?
    Die hohen Baumstämme wirkten heller. Die Wolken werden nicht mehr verschwinden, bevor es dunkel wird, dachte er. Es bleibt dunkel und wird noch dunkler. Was kann ich hier noch sehen? Er nahm einen Schluck Wasser – vorsichtig, ans Überleben denkend – und machte sich auf den Rückweg.
    Die Spur des Himmels direkt über der Himmelsleiter war sichtbar und natürlich heller als die Decke aus Baumwipfeln. Das war sein eigentlicher Wegweiser. Auch der leicht quarzige Weg half ihm, aber er konnte nicht mehr genau sehen, wohin er trat. Seine Wander-Äste wurden zu Blindenstöcken. Allerdings war er schneller als jeder Blinde. Womöglich aus Unvernunft.
    Als er etwa eine halbe Stunde gelaufen war, blieb er stehen. Schwach fiel durch die Bäume etwas Licht auf einen reflektierenden Gegenstand. Wenn er sich nicht täuschte, war es ein Kreuz. Er ging näher. Kreuze stehen am Rande von Landstraßen, dort, wo Menschen sich zu Tode gefahren haben oder das Opfer anderer wurden. Das kannte er. Aber ein Kreuz am Rand eines Waldweges? Auf dem Hinweg war es ihm nicht aufgefallen.
    Das Feuerzeug half ihm diesmal wenig. Die Schrift konnte er nur Buchstabe für Buchstabe erraten. Er las sie laut vor.
    » AN DIESER STELLE WURDE IM JAHR 2000 EIN FÜNFZEHNJÄHRIGER JUNGE INMITTEN SEINER FAMILIE VOM BLITZ ERSCHLAGEN . «
    Kein Name.
    Sternenberg ging weiter. Er schaute nach oben. Inmitten solch hoher

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