Blutige Spuren

Als Zugereister ist es schwierig. Aber es haben sich viele Berliner hier Häuser gekauft, ich bin da ein gutes Verbindungsglied. Manchmal jedenfalls. Ein paar Alte boykottieren mich halt. «
    Von einem Gehöft aus, an dem sie dicht vorbeifuhren, starrte sie eine Frau mit einer Harke in der Hand an. Auch der Hund, ein Spitz, starrte. Und so taten es auch die Gänse.
    Der Wagen ruckelte auf der Schotterpiste, die umso feuchter wurde, je mehr sie an Höhe gewannen und sich dem Fichtenwaldrand näherten.
    » Es ist nicht die beste Jahreszeit für einen Spaziergang « , versuchte der Pfarrer erneut, den Kommissar von seiner Wanderung abzubringen.
    » Ich bin nicht wetterempfindlich « , entgegnete Sternenberg. » Einsamkeit tut mir ab und zu gut. Mein Job besteht fast nur daraus zu kommunizieren. Da ist Abgeschiedenheit Erholung. Aber wem sage ich das? «
    » Das ist das Wunderbare an meinem Beruf « , sagte Grimm. » Ich habe von beidem so viel, wie ich will: Kommunikation und Meditation. Und für beides bezahlt man mich. « Er lachte. » Aber was ich meinte: Der Weg könnte schlammig sein. Wir hatten zweimal Schnee diesen Herbst und viel Regen. Es ist zu viel und läuft nicht richtig ab. «
    » Ich dachte, bei einem Berg ist das kein Problem « , sagte Sternenberg und entdeckte eine schräge Koppel, auf der sich die Pferde erstaunlich stabil hielten.
    » Quarzphyllit « , sagte Grimm und ließ sein Fenster heruntergleiten, um besser zu sehen, wie er einem Schlagloch ausweichen konnte. » Der Kern des Fichtelgebirges besteht aus Granit, aber hier auf der anderen Seite von Steinachtal, von der Markgrafenheide bis hin zum Schneeberg, zieht sich ein Phyllitmantel. Das heißt, die Berge bestehen aus einem kristallinen, bröseligen Material, mit einer Tiefe von mehr als fünf Kilometern. «
    » Phyllit – habe ich noch nie gehört. «
    » Ein weiches Material, fast schmierig. Der absolute Kontrast zu Granit. Da hält sich das Wasser. Aber es machte es den Menschen auch leicht, Stollen zu graben. Die Berge sind alle durchhöhlt. Man hat versucht, Erz zu gewinnen. Sogar Gold. «
    » Und? Ist jemand reich geworden? «
    » Hier nicht. Hier ging es mehr um Erze, insbesondere allerdings Quarz. Für Glas, wissen Sie. Steinachtal war ein Zentrum der Glasperlenherstellung. Es gab einen kleinen Erfolg mit Gold drüben in Goldeck, wie der Name sagt. Das war um 1350. Das 15. Jahrhundert brachte eine Krise, die Menschen mussten immer tiefer graben, und man hatte große Probleme, die Erze richtig zu verhütten. Es gab Krieg und die Pest. Keine gute Zeit. Dann versuchte es Alexander von Humboldt … «
    » Ja, kenne ich. «
    Der Pfarrer lachte wieder. » Der war Beamter in der preußischen Bergbehörde. Ab 1793 – so ungefähr – wollte er den Goldabbau wieder aufleben lassen, aber selbst er ist gescheitert. Zuletzt gab es noch die Fichtelgold AG , in den Zwanzigerjahren. 1925 hat man es dann endgültig aufgegeben. «
    » Wenn ich das alles höre, ist das Fichtelgebirge gar keine so langweilige Senioren-Ecke, wie ich dachte. Hat ja richtig Geschichte. Und Sie kennen sich gut aus. «
    Pfarrer Grimm hielt den Wagen neben einer Parkbank an, die die Grenze zwischen Ort und Wald markierte.
    Sie stiegen aus.
    » Fürst der Berge « , sagte Grimm. » So haben die Alten das Fichtelgebirge genannt. « Er zeigte mit ausgestrecktem Arm in verschiedene Richtungen. » Wenn Sie von oben draufsehen würden, dann könnten Sie erkennen, dass wir an einem Knoten aus Gebirgen stehen. Da lang liegen die sächsisch-thüringischen Höhen, dort die fränkisch-bayerischen und da die böhmischen. «
    Sternenberg reichte ihm die Hand. » Herr Pfarrer, ich danke Ihnen. Ich habe selten mit der Kirche so geistreiche Gespräche geführt. «
    » Seien Sie vorsichtig. Weil das Wasser nicht durch das Phyllitgestein hindurchdringt, läuft es oberhalb ab. Das bedeutet schlammige Wege und – Moorbildung. «
    » So? Moor? «
    » Ja, an einigen Stellen. «
    » Aber einen heulenden Hund haben Sie nicht auch noch aufzubieten? Der übergroße Spuren hinterlässt? «
    » Nein. Sind Sie ein Sherlock-Holmes-Fan, Herr Kommissar? «
    » Nein, Herr Pfarrer, der ist mir zu schlau. Außerdem hat er beständig gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen. «
    » Ich gebe Ihnen meine Karte. Da ist die Handynummer drauf. Für alle Fälle. «

15
    Am milchigen Samstagnachmittagshimmel suchte Kai Sternenberg den Punkt, an dem er die Sonne vermutete, und hielt seine Armbanduhr so, dass er