Blutige Spuren
1605‹, wie gesagt. «
» Ach ja « , sagte Sternenberg. » Aber das ist merkwürdig. Warum steht auf der dritten Seite nicht auch ein Landesname? «
» Man erkennt, dass der Stein nachträglich von Steinmetzen bearbeitet wurde. Unter der Schrift von ›Ein Gott‹ können Sie den Namen ›Laineck‹ noch einigermaßen entziffern. Die Gründe für die Änderung sind nicht bekannt. Es stimmt überhaupt etwas nicht mit diesem Stein. Sie haben auch Dreck an den Händen, wollen Sie? «
» Nein « , sagte Sternenberg, » ich glaube, ich bin allergisch gegen alles Ätzende. Was stimmt nicht mit dem Stein, meinen Sie? «
» Die Urkunden stimmen nicht mit dem Grenzverlauf überein, wie der Stein sie anzeigt. Es gibt keine richtigen Karten von damals, in den Urkunden wird nur schriftlich erläutert, wie die Eckpunkte der Gebiete aussehen. Einer davon ist eben dieser Grenzstein, der in einem Text von 1716 beschrieben wird. Aber anhand einiger logischer Verknüpfungen weiß man, dass er irgendwann versetzt wurde. Niemand kennt seinen ursprünglichen Standort. «
» Vielleicht wurde der Grenzverlauf geändert. «
» Das wäre eine Erklärung « , sagte Pfarrer Grimm. » Es hält sich aber hartnäckig noch eine andere Deutung. «
» Und zwar welche? «
» Es heißt, der sogenannte Dreihirtenstein sei ein Grabstein. « Der Pfarrer faltete das schmutzige Tuch, das Sternenberg als ehemaliges Unterhemd identifizierte.
» Ein Grabstein. Wer ist denn … Wer soll denn darunter begraben sein? «
» Tja, da beginnen die Mythen … Nun kommen die drei Hirten ins Spiel. Sie sollen auf der Markgrafenheide ihre Herden geweidet haben. Damals war dort kein Wald wie heute, sondern eben Heide. Das dürfte ungefähr … vor tausend Jahren gewesen sein. Wie man sich hier erzählt. «
» Vor tausend Jahren? Das klingt wirklich nach Sage. «
» Die drei haben sich nach getaner Arbeit auf ein Bier getroffen oder auf einen Met, oder was auch immer. Und die Stimmung ging mit ihnen durch. Mindestens einer von ihnen war in ein Mädchen aus dem Dorf verliebt. Entweder haben die beiden anderen ihn deswegen aufgezogen, oder sie waren eifersüchtig, Nebenbuhler. Das weiß man nicht. Jedenfalls rasteten sie aus, begannen zu kämpfen. Sie zückten ihre Schäfermesser und stachen aufeinander ein. Man hat die drei nebeneinanderliegend gefunden, alle drei tot. Dann wurden sie alle gemeinsam in ein Grab gelegt. Ein Stein wurde gehauen und auf das Grab gesetzt. «
Sternenberg nickte. » Und das war der Dreihirtenstein? «
» Ja. So will es die Legende. «
» Und hat mal jemand darunter nachgesehen? «
» Was wollen Sie denn unter dem Stein nach tausend Jahren finden? « , fragte der Pfarrer.
» Stimmt. Hirten wird wohl kaum jemand mumifiziert haben. «
» Auf diese Dreihirtenlegende bezieht sich der Name des Restaurants, das Sie meinten: Dreihirtenhaus. «
Sternenberg setzte sich auf die vier Sommerreifen. » Ist doch eine sonderbare Namenswahl. Wer benennt ein Restaurant nach einem dreifachen Totschlag? «
» Die Menschen wollen das Mysteriöse. Das alles interessiert Sie einfach nur so, als normaler Restaurant-Besucher? «
» Nein, Herr Pfarrer. Ehrlich gesagt, ich bin bei der Berliner Polizei. «
» Gewerbeaufsicht? «
Sternenberg lachte. » Nein. Gewaltkriminalität am Menschen. «
» Schon wieder? « , entfuhr es dem Pfarrer.
» Was meinen Sie? «
» Im vorletzten Sommer haben Wanderer drüben am Waldrand eine Frau gefunden. Sie lag tot in einem Kneippbecken. Dazu war noch alles voller Käfer! Ich meine, da landen im Sommer immer eine Menge Käfer im Wasser, das ist eben so in Waldnähe. Aber zusammen mit einer Leiche sieht es fürchterlich aus. Jedenfalls hatte ihr Mann sie im Affekt erschlagen, aus Eifersucht. « Er löste sich von seiner Erinnerung und fragte Sternenberg: » Können Sie mir etwas über Ihren Fall sagen? «
» Ich fürchte nein. Kann ich mir den Dreihirtenstein einmal ansehen? Wo genau ist er? «
» Sie müssen in die Markgrafenheide gehen, und dann die Himmelsleiter bis zum höchsten Punkt. Rechts des Weges steht er, es gibt ein paar verwitterte Wegweiser. «
» Die Himmelsleiter? «
» Das ist ein absolut gerader Weg, er führt von hier nach Goldeck und ist etwa sechzehn Kilometer lang. Die Himmelsleiter selbst misst aber nur acht Kilometer. «
» Ich hätte nie gedacht, das von einem Pfarrer zu hören … «
Grimm lächelte milde. » Sie sollten das morgen machen. Heute schaffen Sie es nicht mehr hin und
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