Blutige Stille. Thriller
mich an. »Haben Sie Bonnie und die anderen Kinder gefunden?«, fragt er.
Seine Hände sind mit Handschellen im Rücken gefesselt, was mich bestürzt, obwohl Skid lediglich die Dienstanweisung befolgt hat. Ich hole den Schlüssel aus meinem Gürtel. »Drehen Sie sich um, ich nehme Ihnen die Dinger ab.« Ich spreche mit ihm Pennsylvaniadeutsch, um das Misstrauen, das zwischen den Amischen und der englischen Polizei herrscht, abzubauen. Heute Morgen brauche ich seine volle Kooperation.
Er dreht mir den Rücken zu, ich stecke den Schlüssel ins Schloss der Handschellen, und sie springen mit einem
Klick
auf. »Was machen Sie um diese Uhrzeit hier draußen?«
Er reibt sich die Handgelenke. »Ich helfe beim Melken.«
»Warum braucht Amos Sie, wenn er zwei Söhne hat?«
Die Frage verwirrt ihn, aber nur kurz. »Er hat zweiundzwanzig Kühe und melkt zweimal am Tag. Ich bringe die Kannen zu Gordon Brehm in Coshocton County.«
Seine Antwort wird durch das Fehlen einer Melkmaschine und eines Generators in der Scheune untermauert. Ohne Kühlanlage ist es unmöglich, die Milch zu kühlen, weshalb sie nicht als Trinkmilch verkauft werden kann. Da sie vorübergehend in altmodischen Milchkannen gelagert wird, ist sie nur zum Käsemachen zu gebrauchen, was einen Buggy-Trip zum Käsehersteller im angrenzenden County nötig macht.
Ich neige den Kopf zur Seite und blicke ihm in die Augen. »Reuben«, sage ich mit fester Stimme, damit ihm klar ist, dass ich seine ungeteilte Aufmerksamkeit will. »Sie müssen mir genau erzählen, was Sie heute Morgen gesehen haben, als Sie herkamen.«
Er nickt. »Ich war zu früh und hab mich ein paar Minuten auf die hintere Veranda gesetzt. Normalerweise brennt dann im Haus schon eine Laterne. Amos und ich trinken zusammen Kaffee. Manchmal brät Bonnie Scrapple. Heute Morgen war das Haus aber dunkel.«
»Sind Sie deshalb reingegangen?«
»Ich hab geklopft, aber niemand hat geantwortet.« Sein Gesicht verzieht sich zu einem kleinen Lächeln. »Ich dachte, er hat wieder verschlafen. Deshalb bin ich reingegangen.«
»Wie sind Sie reingekommen?«
»Die Hintertür ist nie verriegelt.«
Ich speichere diese Information. Viele Amischen schließen die Tür nachts nicht ab, obwohl die
Ordnung
Schlösser durchaus erlaubt. Sie halten es einfach nicht für nötig. Und nicht nur die Amischen sehen das so locker, mindestens die Hälfte der Einwohner in diesem County lässt nachts die Türen unverriegelt. Meine Einstellung dazu hat sich wesentlich verändert, seit ich sechs Jahre lang Polizistin in einer Großstadt war. Ich verriegele meine Tür jeden Abend mit der Hingabe einer paranoiden Schizophrenen.
»War sonst noch jemand im Haus?«
»Nur Amos … und die beiden Jungen.«
»Und draußen? Auf dem Hof? Oder in der Scheune?«
»Da hab ich niemanden gesehen.«
»Irgendwelche Fahrzeuge oder Buggys?«
»Nein.«
»Ist Ihnen in letzter Zeit irgendetwas Ungewöhnliches an Amos aufgefallen? Stand er vielleicht unter Druck? Oder hat er über Probleme gesprochen?«
»Amos?« Reuben Zimmerman schüttelt den Kopf. »Nein.«
»Gab es irgendwelche Misstöne in der Familie?«
»Nein.«
»Probleme zwischen Amos und Bonnie? Oder zwischen Amos und den Kindern? Probleme mit englischen Freunden? Hatte er Geldsorgen?«
Er schüttelt so heftig den Kopf, dass sein Bart hin und her weht. »Warum fragen Sie solche Dinge, Katie?«
»Ich versuche nur herauszufinden, was passiert ist.«
Zimmerman starrt mich an. »Amos hat immer nach den Regeln der
Gelassenheit
gelebt. Er war ein guter amischer Mann. Er war bescheiden und hat ganz nach dem Willen Gottes gelebt. Er hat hart gearbeitet. Und er hat seine Familie geliebt.«
»Hatten die Planks Feinde?«, frage ich. »Haben sie mit jemandem Streit gehabt?«
Wieder nachdrückliches Kopfschütteln. »Die Planks liebten ihre Glaubensbrüder. Sie waren großzügig. Wenn man etwas brauchte, haben Amos und Bonnie es einem gegeben und gern selbst darauf verzichtet.«
Doch ich weiß, dass selbst anständige, gottesfürchtige amische Familien Geheimnisse haben.
Einen Moment lang ist nur das Brummen des Generators auf der hinteren Veranda und das Zirpen der Grillen zu hören. Dann flüstert Zimmerman: »Sind Bonnie und die anderen Kinder in Ordnung?«
Ich schüttele den Kopf. »Sie sind auch tot.«
»Mein Gott.« Er senkt den Kopf und reibt die Stirn so fest mit den Fingern, dass die Haut weiß wird. »Wer würde so eine furchtbare Sünde begehen?«
»Ich weiß es
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