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Blutige Stille. Thriller

Blutige Stille. Thriller

Titel: Blutige Stille. Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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müssen?«
    »Normalerweise schon«, erwidere ich. »Aber wenn er sich vornübergebeugt hat, die Waffe genommen und den Kopf gesenkt …« Das Bild macht mich frösteln. »Dann ist der Stoß vielleicht nicht stark genug gewesen.«
    »Beschissene Art, sich zu verabschieden.«
    »Wieso hat ein amischer Mann Lautsprecherkabel?«, denke ich laut. »Wo er weder Radio noch Fernseher besitzt. Er benutzt ja nicht mal eine Melkmaschine oder einen Generator zur Milchverarbeitung.«
    »Gute Frage.« Glock zuckt die Schultern. »Vielleicht hat er es irgendwo billig gekauft oder jemand hat es ihm gegeben. Er benutzt es, weil es viel aushält.«
    »Und warum hat er das Seil von der Rolle hier nicht benutzt?«
    »Worauf wollen Sie hinaus, Chief?«
    Ich weiß nicht, wie ich meine Gedanken formulieren soll, ohne voreingenommen zu klingen. Aber die Erfahrung hat mich gelehrt, auf meinen Instinkt zu hören, und der sagt mir, dass hier nichts so ist, wie es zu sein scheint.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein amischer Mann so etwas tut«, sage ich schließlich.
    »Die Amischen sind auch nur Menschen«, erwidert er. »Sie können jähzornig sein. Stoßen an Grenzen und drehen durch.«
    Er hat recht. Es kommt zwar selten vor, aber auch Amische haben schon getötet. 1993 hat Edward Gingerich seine junge Frau umgebracht und ausgeweidet. Einer von wenigen aktenkundigen Fällen.
    »Das hier ergibt keinen Sinn«, sage ich. »Die ungeheure Gewalt. Die Pistole. Das Foltern der Töchter. Das Lautsprecherkabel.«
    »Ein Vater, der seine Kinder tötet, ist schwer zu verkraften.«
    Glock ist einer der besten Polizisten, die ich kenne. Er hat einen gesunden Menschenverstand, gute Instinkte und genug Erfahrung, um zu wissen, dass der Schein trügen kann. Er ist tough und loyal, manchmal sogar über die Maßen. Letzten Januar, als wir es mit einem Mörder zu tun hatten, der seine Opfer abschlachtete, riskierte er seinen Job, um mir zu helfen, nachdem der Stadtrat mich gefeuert hatte. Doch am meisten bewundere ich, dass er immer seine ehrliche Meinung sagt – auch wenn er weiß, dass ich sie nicht hören will.
    »Wollen Sie damit andeuten, Sie halten es für möglich, dass ein anderer alle umgebracht hat und den Eindruck erwecken will, es wäre der Vater gewesen?«, fragt er.
    »Klingt absurd, so wie Sie es sagen.«
    Glock blickt auf den Toten, doch ich spüre, dass seine Aufmerksamkeit noch immer mir gilt. »Als ich in North Carolina stationiert war, hat ein Verrückter seine Kinder zerhackt und in einem Tontopf zusammen mit Süßkartoffeln gekocht. Als ihn der Psychiater später fragte, warum er das getan hat, antwortete er, er habe sie zu sehr geliebt, um sie leben zu lassen.«
    »Das ergibt absolut keinen Sinn.«
    Wieder zuckt er die Schultern. »Genau das meine ich. Man kann keinen Sinn in etwas sehen, das keinen Sinn macht, wie sehr man es auch versucht.«
    Ich weiß, dass er recht hat. Taten wie diese kann der Verstand nicht fassen. Sie brechen einem das Herz. Sie fressen einen innerlich auf, wenn man es zulässt. Ein alter Hase, mit dem ich als frischgebackene Polizistin zusammengearbeitet hatte, sagte mir einmal, dass genau die Polizisten, die zu viel Zeit mit dem »Begreifenwollen« verbringen, am Ende selbst den Weg von Amos Plank gehen.
    »In so einen Kopf will man nicht hineinsehen«, sagt Glock. »Ist bestimmt ein unheimlicher Ort.«
    In dem Moment höre ich die Küchentür, drehe mich um und sehe den Coroner eintreten. Dr. Ludwig Coblentz hat eine koffergroße Arzttasche in der Hand. In der cremefarbenen Windjacke, die er über einer Flanell-Pyjamajacke und hellbraunen Dockers-Hosen trägt, sieht er aus wie eine Mischung aus einem Michelin-Männchen und einem Teigkloß. Doch seine äußere Erscheinung wird durch seine exzellente Arbeit wettgemacht. Er ist einer von fünf Ärzten hier in Painters Mill und seit fast acht Jahren der zuständige Coroner.
    »Sagen Sie mir, dass es nicht so schlimm ist, wie es am Telefon klang«, beginnt er.
    »Wahrscheinlich schlimmer.« Ich gehe zu ihm in die Küche, und wir geben uns die Hand. »Danke, dass Sie so schnell gekommen sind.«
    Er stellt seine Arzttasche auf dem Küchentisch ab. »Wie viele?«
    »Sieben. Die ganze Familie.«
    »Großer Gott.« Mit der schnellen Bewegung eines Mannes, der seine Instrumente handhabt, als wären sie ein Teil von ihm, streift er Latexhandschuhe über, legt eine Plastikschürze an und bindet sie im Rücken zu. Dann zieht er Plastikhüllen über seine

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