Blutige Stille. Thriller
der Beine. Ein Einschussloch sehe ich nicht. Im Stillen frage ich mich, ob sie noch gelebt hat, als ihr das angetan wurde.
Diese grauenvolle Vorstellung macht mich krank, trifft mich so fundamental, dass mir kurz die Luft wegbleibt. Ich habe nicht nah am Wasser gebaut, doch jetzt brennen Tränen in meinen Augen.
»Chief, alles okay?«
Ich unterdrücke den Schrei, der in mir wütet und aus mir herausbrechen will. Eine ganze Minute lang bleibe ich die Antwort schuldig. Als ich schließlich wieder sprechen kann, ist meine Stimme ruhig. »Rufen Sie noch mal Glock und Pickles an. Sagen Sie, wir brauchen die Lichter und den Generator gestern.«
»Ja, Ma’am.«
»Mona soll das Sheriffbüro informieren, damit sie ein paar Streifenwagen losschicken. Und sie soll T. J. Bescheid sagen, er kann auch Streife fahren. Solange wir noch nicht genau wissen, was passiert ist, müssen wir davon ausgehen, dass da draußen ein kaltblütiger Mörder mit einer Schusswaffe rumläuft.«
Während Skid meine Instruktionen über Funk weitergibt, blicke ich auf die beiden toten Mädchen, verspüre das drückende Gewicht der Verantwortung auf meinen Schultern, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich habe altgediente Polizisten von Fällen erzählen hören, die ihr Leben verändert und sie noch verfolgt haben, nachdem sie längst abgeschlossen waren. Auch ich hatte schon Fälle, die mich grundlegend verändert haben – meine Haltung gegenüber Menschen, meine Arbeitsauffassung als Polizistin. Und wie ich mich selbst sehe.
Ich stehe da, den Geruch von Tod in der Nase, und weiß, das hier wird einer dieser Fälle sein. Der mir viel abverlangt. Und nicht nur mir, sondern der ganzen Stadt, die ich lieben gelernt habe, und einer Gemeinde, die schon mehr als genug Gewalt erlebt hat.
3 . KAPITEL
Ich stehe auf der hinteren Veranda und paffe die von Skid geschnorrte Marlboro, als mit flackerndem Blaulicht und heulender Sirene ein Streifenwagen mit kleinem Anhänger den Weg entlangkommt. Er bleibt hinter meinem Explorer stehen, wobei er eine Staubwolke aufwirbelt, die abwechselnd blau und rot leuchtet und die Szene noch surrealer macht, als sie schon ist.
Rupert »Glock« Maddox steigt aus, geht zum Anhänger, öffnet die zweiflüglige Hintertür und zieht eine kleine Rampe heraus. Glock ist ein ehemaliger Marine-Soldat und hat die zweifelhafte Ehre, der erste afro-amerikanische Polizist in Painters Mill zu sein. Er besitzt die Statur eines jungen Arnold Schwarzenegger, kann einem Murmeltier die Fellhaare wegschießen und ist einer der besten Polizisten, mit denen ich je das Vergnügen hatte zu arbeiten. Als ich zu ihm gehe, hoffe ich, dass sein unerschütterliches Wesen meinem inneren Tumult beruhigend entgegenwirkt.
Nachdem er den dieselbetriebenen Generator die Rampe hinuntergerollt hat, sieht er in meine Richtung. Unter normalen Umständen würde er mir wegen der Zigarette die Hölle heißmachen. Und wenn das hier kein Tatort wäre, hätte ich sie wahrscheinlich heimlich verschwinden lassen. Aber wir beide werden in den nächsten Stunden zu beschäftigt sein, um etwas so Profanes zu thematisieren.
»Muss schlimm sein, wenn Sie rauchen«, sagt er.
»Sehr schlimm.« Die Worte kommen mir wie eine obszöne Untertreibung vor.
»Ich wäre schon früher hier gewesen, aber ich musste noch den Generator und die Lampen holen.«
»Kein Problem.« Ein Seufzer entfährt mir. »Von denen hier geht keiner mehr weg.«
»Haben Sie den Schützen?«
»Ich weiß noch nicht einmal, womit wir es hier zu tun haben.«
Ich werfe den Zigarettenstummel auf den Boden und zermalme ihn mit dem Stiefel, wobei Glock mich etwas zu genau fixiert.
»Könnte ein Mord-Selbstmord sein«, füge ich erklärend hinzu.
»Mist.«
Ich zeige auf den Generator.
»Kümmern Sie sich ums Licht, ja?« Ich mache mich auf zu Skids Streifenwagen. »Ich rede mit dem Zeugen.«
Ich bin Reuben Zimmerman in den letzten Jahren mehrere Male auf der Straße begegnet. Er ist ein ruhiger, ernster Mann und einer der wenigen Amischen, die ich kenne, der keine Kinder hat. Er und seine Frau Martha besitzen ein kleines Haus und ein paar Äcker weiter unten an der Straße. Reuben war Schreiner, bevor er in Rente ging, und verbringt die meiste Zeit mit dem Bau dekorativer Vogelhäuser und Briefkästen für die Touristenshops in der Stadt.
Ich öffne die Hintertür des Streifenwagens und beuge mich zu ihm hinunter, will ihm in die Augen sehen. Zimmerman schiebt den Kopf vor und blickt
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