Blutige Stille. Thriller
Abdruck genau an. Die vordere Hälfte eines Schuhs oder Stiefels. »Wo ist er ins Blut getreten?«, frage ich mich laut. »Es muss doch noch mehr geben.«
Glock sieht mich an. »Ich hab keine anderen Abdrücke gesehen.«
»Das ist ja wohl kaum möglich.« Ich blicke mich um, ermutigt durch die Aussicht auf Beweise.
Er macht ein letztes Foto, steht auf, und wir suchen weiter. Während er zu dem kleinen Jungen auf der anderen Seite des Zimmers geht und Fotos macht, gehe ich neben dem älteren Jungen in die Hocke.
Es fällt mir nicht leicht, einen toten Teenager anzusehen, der auf dem Bauch liegt und dessen Hände im Rücken gefesselt sind. Sein Kopf ist zur Seite gedreht, das Haar voller Blut. Kleine Brocken Hirnmasse sowie Knochensplitter seines Schädels sind über den Boden verteilt. Sein Mund steht offen. Ich sehe Blut zwischen den Zähnen, die rosa Zungenspitze ist dreiviertel abgebissen. Trotz der Mentholsalbe ist der Gestank von Urin und Fäkalien fast unerträglich.
Dann fällt mein Blick auf die Handfessel des Jungen, und meine Befindlichkeiten werden plötzlich belanglos.
Lautsprecherkabel
. So was hat kein amischer Mann im Haus oder sonstwo. Ordentliche Doppelknoten. Das Kabel so fest geschnürt, dass es ins Fleisch geschnitten hat.
Die Tatsache, dass der Mörder Lautsprecherkabel benutzt hat, beschäftigt mich auf dem Weg zur Küche. Wer hat Lautsprecherkabel herumliegen? Jemand, der zu Hause eine Musikanlage installiert hat? Oder in seinem Auto? Seinem Wohnwagen? Jemand, der mit Musik oder Soundsystemen arbeitet? Mit Computern? Ich spiele die Möglichkeiten im Kopf durch, als Glock mich ruft.
»Ich glaube, ich habe die Stelle gefunden, wo er ins Blut getreten ist.«
Ich gehe zu ihm, und er zeigt auf den kleinen toten Jungen. »Auf dem Teppich ist Blut. Meiner Meinung nach ist der Mörder auf den Teppich getreten und hat es mitgeschleppt.«
Er hat recht, was mir nicht gefällt. »Ich hatte gehofft, wir finden einen besseren Abdruck.«
»So leicht ist es leider nie.« Er macht mehrere Aufnahmen von dem blutgetränkten Teppich.
Ich gehe in die Küche und nehme den Skizzenblock aus dem Koffer. Zurück im Wohnzimmer, skizziere ich grob den Tatort, konzentriere mich auf die Stelle und Position jeder Leiche. Ich bin nicht künstlerisch begabt, aber zusammen mit den Fotos wird diese Darstellung genügen, einen Eindruck des Tatorts zu vermitteln, so wie wir ihn vorgefunden haben.
Ich gehe zu Amos Planks Leiche. Auch er liegt auf dem Bauch, den Kopf zur Seite gedreht. Die Blutlache um ihn herum glänzt im Schein der Arbeitslampe. Ich knie mich neben ihm auf den Boden. »Glock, haben Sie schon Fotos vom Vater gemacht?«
Er kommt und stellt sich neben mich. »Ein halbes Dutzend aus verschiedenen Perspektiven.«
Dann kann ich den Toten also bewegen. »Helfen Sie mir, ihn auf den Rücken zu rollen«, sage ich.
Glock hockt sich neben mich und legt die Hand auf die linke Hüfte des Toten. Ich platziere meine auf der linken Schulter. »Los«, sage ich, und wir drehen ihn gleichzeitig um hundertachtzig Grad.
Eine Menge Blut schwappt aus dem Mund, und wir schnellen zurück, um es nicht abzubekommen. In dem grellen Licht wirkt Amos Planks Gesicht überaus makaber. Er hat mehrere abgebrochene Zähne und vom Schießpulver graubraune Verbrennungen an den Lippen. Die Nase ist voll geronnenem Blut. Der Kiefer ist gebrochen, der Mund steht offen, die Zunge ist von der Kugel zerfetzt.
Die rechte Gesichtshälfte ist blaurot – Totenflecken, die auftreten, wenn das Herz aufhört zu schlagen. Das Blut wird nicht länger durch den Körper gepumpt und sackt dahin, wo er aufliegt. Die blutergussähnliche Verfärbung setzt bereits eine halbe Stunde nach dem Tod ein und wird mit der Zeit stärker. Das ist mein erster Hinweis auf den Todeszeitpunkt.
»Sieht aus, als wäre er mindestens eine Stunde tot«, sage ich.
»Wenn die Leute wüssten, was Kugeln mit ihrem Gesicht machen, hätten wir wesentlich weniger Selbstmorde«, bemerkt Glock.
Die Wunde scheint selbst beigebracht zu sein. Die Kugel ist im Mund ein- und am Hinterkopf ausgetreten, hat den Schädel zertrümmert und ein Stück Hirn weggerissen. Es gibt sicher Leute, die das für das angemessene Ende eines Mannes halten, der gerade seine ganze Familie umgebracht hat.
»Wenn er die Pistole in den Mund gesteckt und abgedrückt hat«, sagt Glock, »würde der Stoß ihn dann nicht nach hinten werfen? Hätte er dann nicht auf dem Rücken liegen
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