Blutige Stille. Thriller
geht’s gut.« Ich reibe die schmerzende Stelle zwischen meinen Augen. »Ich finde es nur schlimm, wie es gelaufen ist.«
»Dann sieh dir das mal an.«
Sein Ton lässt mich aufhorchen. Er hat den Blick auf den Monitor meines Laptops gerichtet und die erste Datei geöffnet. Alle meine Gedanken sind wie weggeblasen angesichts der Bilder, die mich wie Messer durchbohren: Mary Plank liegt auf einem alten Eisenbett. Ein Mann mit Ganzkopfmaske aus Latex – eine Art grotesker Narr – auf ihr drauf, auf die Arme gestützt, und stößt in sie hinein. Seine Nackenmuskeln sind angespannt. Mary trägt nur ihre
Kappe
und schwarze Stiefeletten. Ihr Blick geht ins Leere, doch der Ekel in ihrem Gesicht ist nicht zu übersehen.
»O nein.« Meine Stimme ist nur ein Flüstern.
Das will ich nicht sehen
, ist alles, was ich denken kann.
»Sieht aus wie Long«, sagt Tomasetti. »Gleicher Körperbau.«
Der Bildschirm wird schwarz, doch wir starren noch weiter schweigend drauf. Tomasetti greift gerade zur Maus, als es plötzlich weitergeht. Dasselbe Licht, dasselbe Bett und Bettzeug. Dasselbe schlimme Gefühl in meinem Bauch. Auf der Bettkante sitzt ein Mann. Er trägt dieselbe Maske, aber diesmal bin ich sicher, dass es Todd Long ist. Mir wird eng ums Herz, als ich sehe, wie Mary Plank sich zwischen seine Beine kniet und ihm einen bläst.
»Sie steht unter Drogen.« Wie durch einen Wattebausch nehme ich Tomasettis Worte wahr. »Ich wette, die Pillen sind irgendeine Sorte Barbiturat. Oder vielleicht Rohypnol.«
Ich will etwas erwidern, doch mir ist, als hätten sich zwei Hände um meinen Hals gelegt und drückten langsam zu, so dass ich kein Wort rausbringen kann. Auf dem Bildschirm spielt sich ein weiteres perverses Szenario in krassem Schwarzweiß ab. Ich spüre Tomasettis Blick auf mir, doch sehe ihn nicht an. Er soll nicht wissen, was in meinen Augen zu lesen ist.
Dieser Fall hat nichts mit mir zu tun, doch er trifft mich auf eine Weise, mit der ich nicht gerechnet habe, und mit einer Gewalt, die mir die Luft nimmt. Tomasetti weiß, was ich vor siebzehn Jahren erlebt habe, aber nicht alles. Mein schlimmstes, dunkelstes Geheimnis kennt er nicht.
»Kate.« Er sagt meinen Namen behutsam, wie ein Pferdetrainer, der ein verängstigtes Fohlen zu beruhigen versucht. »Du musst dir das nicht ansehen.«
Er will den Laptop schließen, aber ich hindere ihn daran. »Doch, das muss ich.« Meine Worte sind kaum mehr als ein Krächzen. Ich spüre, wie meine Gefühle hochkochen, und wenn ich sie nicht in den Griff bekomme, werden sie außer Kontrolle geraten. Mein Verstand tönt:
Gefahr, Gefahr, Gefahr!
Doch ich kann nicht aufhören. »Sie war in ihn verliebt«, stoße ich hervor. »Sie wollte ihn heiraten. Kinder von ihm haben. Das Leben mit ihm verbringen. Sie war bereit, alles, was sie kannte, hinter sich zu lassen. Und er hat ihr
das
angetan.«
Tomasettis Gesichtsmuskeln zucken, und er wendet den Blick ab. »Er hat gekriegt, was er verdient hat.«
»Das hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun.«
»Das mag stimmen. Aber in einem Fall wie diesem gibt’s kein Happy End.«
Eine harte, zynische Sichtweise, aber John Tomasetti kann hart und zynisch sein. Und in diesem Moment, angesichts der grausamen Realität, die sich vor mir auf dem Bildschirm abspielt, ist die Welt ein harter, zynischer Ort.
Ich will da nicht hinsehen, doch ich kann mich nicht abwenden. Ein neues, unsägliches Szenario beginnt. Der leere Blick eines unschuldigen Mädchens. Eine junge Frau voller Herzenswärme und Leben. Ich sehe das Böse in seiner heimtückischsten Form. Er hat ihrem Körper Gewalt angetan, ihrer Seele und ihrem Herz. Er hat den schlimmsten möglichen Verrat begangen.
Ich stehe so ruckartig auf, dass mein Stuhl bedenklich wackelt. Tomasetti sieht mich besorgt an. »Kate …«
»Kannst du dafür sorgen, dass das Zeug ins Labor kommt?«, höre ich mich sagen.
»Natürlich …«
Wie ferngesteuert gehe ich zur Tür, reiße sie keuchend auf, so dass sie an die Wand knallt, und laufe den Flur entlang. Ich höre John meinen Namen rufen, bleibe aber nicht stehen, sehe Jodies besorgtes Gesicht und weiß, dass T.J. in seiner Box steht und mich anstarrt. Als der Ausgang in Reichweite ist, ruft auch Glock meinen Namen, doch Sekunden später bin ich schon draußen. Und erst da wird mir bewusst, dass ich weine, dass mein ganzer Körper von heftigem Schluchzen geschüttelt wird.
Die Kontrolle über die eigenen Gefühle zu verlieren kann sich eine Polizistin
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