Blutige Stille. Thriller
das
Großstadtbullen-
Flair umgibt ihn wie eine Aura. Er besitzt Haltung und Stil mit einem Schuss Arroganz. Die meisten Polizisten kleiden sich nachlässig. Nicht so Tomasetti. Der dunkelgraue Anzug sieht maßgeschneidert aus; die Farbe kontrastiert effektvoll mit seinem Dreitagebart. Blassblaues Hemd, teure Krawatte. Er bleibt einen Moment stehen, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen. Als er mich entdeckt, verändert sich sein Gesichtsausdruck. Ich starre ihn an, fühle mich ertappt, und weiß nicht, ob ich froh sein soll, dass er hier ist, oder sauer, weil er mich beim Nachsinnen über mein Elend stört.
Er kommt und setzt sich mir gegenüber auf die Bank. Ich rauche, sehe ihn an und wünschte, den dritten Kurzen nicht getrunken zu haben. Ein alkoholvernebeltes Hirn ist nicht gerade von Vorteil, um sich mit ihm auseinanderzusetzen. Er kann schwierig sein, und ich bin nicht in der Verfassung, mit so was umzugehen.
»Es ist wohl dumm zu fragen, wie du mich gefunden hast«, sage ich zur Begrüßung.
Er stellt Blickkontakt mit McNarie her und zeigt auf das Schnapsglas. »Zuerst war ich bei dir zu Hause.«
»Es gibt in dieser Stadt nicht viele Orte, wo man sich verstecken kann.«
»Aber die eigentliche Frage ist doch, warum du dich versteckst.«
Die Antwort erspart mir McNarie, der jetzt ein weiteres Schnapsglas und ein zweites Bier auf den Tisch stellt und zurück zur Bar geht.
Tomasetti füllt beide Gläser und trinkt seins auf ex.
»Ich dachte, du hättest aufgehört zu trinken«, sage ich.
»Habe ich auch – meistens.« Er lächelt in sein Glas. »Heute Abend mache ich eine Ausnahme. Aber es geht hier nicht um mich, Kate.«
Da ich wirklich keine Lust habe, über mich zu reden, erwidere ich nichts.
Tomasetti lässt nicht locker. »Deine Kollegen fragen sich, was mit dir los ist.« Er stellt das Glas ab. »Und ich frage mich das auch.«
»Es war ein schlimmer Fall.«
»Er ist abgeschlossen. Du hast gute Arbeit geleistet, deine Mitarbeiter auch.«
»Die Planks sind immer noch tot. Die Mädchen immer noch gefoltert.«
»Kate.« Eine leichte Ungeduld liegt in seiner Stimme. »Du bist doch schon lange genug dabei, um zu wissen, dass auch guten Menschen manchmal schlimme Dinge passieren. Das liegt außerhalb deiner Kontrolle. Du musst loslassen, sonst treibt es dich in den Wahnsinn.«
Obwohl mein Verstand mich warnt, weiter Alkohol zu trinken, nehme ich das Glas und leere es. »Ich habe schon zu viel getrunken, um darüber zu reden.«
»Manchmal ist das der beste Zustand, um zu reden.«
»Nicht bei mir.«
Er sieht mich ernst an. »Hat es damit zu tun, dass sie Amische waren?«
Ich betrachte eingehend mein Glas, weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Wie kann ich meine Emotionen einem Mann, der die Welt nur in schwarzweiß sieht, verständlich machen? Zumal ich keineswegs sicher bin, ob ich diese Büchse der Pandora aufmachen will, weil ich nicht weiß, was sonst noch alles rausgeflogen kommt.
»Du bist wahrscheinlich die vernünftigste Frau, die ich je kennengelernt habe«, sagt er. »Sich so sehr in etwas zu verbeißen, passt nicht zu dir.«
Ich sehe ihn über die Flasche hinweg an. »Eher zu dir, nicht wahr?«
Er schenkt mir ein selbstironisches Lächeln. »Sparen wir uns doch die Analyse meiner Person für das nächste Mal auf, ja?«
»Tut mir leid, das hätte ich nicht sagen sollen.«
»Fang nicht an, dich zu entschuldigen. Ehrlichkeit gehört zu deinen stärksten Eigenschaften und zu den Dingen, die mir am besten an dir gefallen.«
»Ich dachte, dir gefallen meine Beine.«
»Die auch.«
Er lächelt, und wir nippen wortlos an unserem Bier. Allmählich werde ich ruhiger. Das Schweigen wird erträglicher, ja schon fast angenehm. Doch seine nächste Frage macht alles kaputt. »Hat es damit zu tun, was dir vor siebzehn Jahren passiert ist?«
Ich zucke nur ganz leicht zusammen, doch er hat es bemerkt, denn sein Blick wird noch eindringlicher. Ich spüre, wie er an meinem Panzer kratzt, ein Raubtier, das zum weichen Fleisch vordringen will.
»Ich weiß es nicht«, gebe ich zu.
»Es gibt Parallelen.«
Meine Schläfen fangen an zu pochen, mein Magen verknotet sich. Ich bin entsetzt, dass nach all diesen Jahren ein Gespräch über jenen Tag – über das, was passiert ist, was ich getan habe und was es für Folgen hatte – mich noch so tief erschüttern kann. »Wahrscheinlich mehr, als dir klar ist.«
»Müsste ich selbst draufkommen?«
Ich starre mein Bier an, das
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