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Blutige Stille. Thriller

Blutige Stille. Thriller

Titel: Blutige Stille. Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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nicht leisten. Schon gar nicht, wenn sie auch noch die Leiterin einer Dienststelle ist. Ich muss meine Tränen unterdrücken und mich zusammenreißen. Ich muss zurückgehen und den Papierkram erledigen, den Fall ein für alle Mal abschließen.
    Aber dazu bin ich nicht in der Verfassung. Ich kann meinem Team nicht gegenübertreten, bin zu dünnhäutig, zu fertig und schon im Fallen. Tomasetti wird sich um die Sachen kümmern, die ins Labor geschickt werden müssen, und der Papierkram kann bis morgen warten. Ich steige in den Explorer, fahre ohne zu gucken rückwärts auf die Straße und aufs Geratewohl zum nächstbesten Zufluchtsort.

21 . KAPITEL
    Ohne dass es mir bewusst war, habe ich McNarie’s Bar angesteuert, was ich erst merke, als ich auf den Parkplatz biege. Das ist der letzte Ort, wo ich jetzt sein sollte. Nicht nur, weil ich noch in Uniform bin, sondern weil ich mich in meinem Zustand vom Alkohol fernhalten sollte. Oder von anderen Lebewesen. Da ich mir gut vorstellen kann, dass Tomasetti mich sucht, parke ich außer Sichtweite auf dem hintersten Platz.
    Ich bin von Natur aus nicht selbstzerstörerisch veranlagt, das habe ich schon als relativ junger Mensch herausgefunden. Aber irgendwann auf der Fahrt vom Polizeirevier zur Bar wollte ich nicht mehr vernünftig und verantwortungsvoll sein. Manchmal sind diese Eigenschaften sowieso wertlos, das sieht man ja an den Planks.
    Als ich die Bar betrete, ist es neunzehn Uhr und die Happy Hour vorbei. Jetzt sind hier die Billardspieler, die Footballspielgucker und alle die Leute, die ein bisschen Ruhe und Frieden brauchen und auf keinen Fall nach Hause wollen. Doch ich suche heute Abend eine andere Art von Frieden.
    Ich gehe schnurstracks zu der kleinen Nische in der hinteren Ecke, wo die Tulpenlampe kaputt ist und nur die Leute vorbeikommen, die auf die Toilette müssen oder im Gang sniffen wollen. Vermutlich repariert McNarie die Lampe absichtlich nicht.
    Als ich mich mit Blick auf die Tür setze, scheppert ein alter Song der Red Hot Chili Peppers aus der Jukebox. McNarie lässt mich nicht warten. Er stellt eine Flasche Absolut Wodka, ein Schnapsglas und ein Killian’s Irisch Red vor mich auf den Tisch. »Brauchen Sie das Glas, oder trinken Sie gleich aus der Flasche?«
    »Ist wohl besser, wenn ich das Glas nehme«, erwidere ich. »Es soll ja nicht heißen, die Polizeichefin sucht Trost in der Flasche.« Doch die Tatsache, dass mein Zustand so offensichtlich ist, beunruhigt mich.
    Ich greife nach meinem Geldbeutel, doch McNarie stoppt mich. »Das geht aufs Haus, Chief.« Neben die Flasche legt er ein Päckchen Marlboro und ein Feuerzeug.
    »Das müssen Sie nicht –«
    »Ich hab gehört, Sie haben den Scheißkerl erwischt, der die Familie getötet hat. Gute Arbeit.«
    Wenn es doch nur so einfach wäre! Ich danke ihm trotzdem und werde mich mit einem guten Trinkgeld erkenntlich zeigen.
    Er starrt mich noch einen Moment an und nickt dann. Mehr nicht. Keine Fragen. Keine morbide Neugier, die befriedigt werden will. Keine geheuchelte Besorgnis. Keine Vorträge. McNarie ist einer der Gründe, warum ich hierherkomme. Er lässt mich in Ruhe. Heute Abend weiß ich das mehr zu schätzen, als er sich vorstellen kann.
    Ich öffne die volle Flasche, kaum dass er hinter der Bar ist. Als er dann das Handtuch nimmt und weiter Gläser abtrocknet, habe ich mir schon eingeschenkt. Das erste Glas schmeckt nicht, ich schüttele mich. Doch das ist immer so. Beim zweiten ist es leichter, und das dritte fließt durch meine Kehle wie flüssiges Gold.
    Über einen Fall nachzugrübeln ist eine kontraproduktive Zeitverschwendung. Ich sollte in Feierstimmung sein. Ein vielfacher Mörder ist tot, dem Recht wurde Genüge getan. Ich sollte mit meinen Kollegen feiern, ihnen auf die Schulter klopfen, dass sie so viel geschuftet und gute Arbeit geleistet haben. Wir sollten hier alle zusammen sitzen und auf den Tod des Verbrechers anstoßen. Doch dann denke ich an die Familie Plank und weiß wieder, warum ich das nicht kann.
    Oder vielleicht ist es gar nicht der Fall, der mir so zusetzt. Vielleicht ist es meine eigene Geschichte, die mich heute Abend verfolgt. Weil ich mir erst jetzt eingestehen kann, dass es viele Parallelen zwischen Mary Plank und mir gibt. Parallelen, die ich nicht sehen wollte. Dinge, die ich glaubte, begraben zu haben. Und die doch niemals wirklich verschwinden.
    Ich habe meine erste Zigarette halb geraucht, als Tomasetti zur Tür hereinkommt. Er wirkt etwas deplatziert hier,

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