Blutige Stille. Thriller
nicht so wie unsereins. Ich stelle mir verschiedene Möglichkeiten vor, wie er auf die Nachricht reagiert: Er wartet, bis es dunkel wird, und dringt dann bewaffnet und maskiert gewaltsam ins Haus ein, um den Jungen im Bett zu töten. Eine andere Möglichkeit wäre, dass er sich im Dunkeln heimlich ins Haus schleicht, den Jungen aus dem Bett holt und entweder gleich umbringt oder einen Unfall vortäuscht – einen Sturz vom Heuboden zum Beispiel.
Ziemlich wahrscheinlich scheint mir allerdings, dass der Mörder die Farm genau beobachtet. Deshalb will ich ihn glauben lassen, dass die Zooks ahnungslos und ungeschützt zu Hause sitzen.
Komm, krieg uns.
Tomasetti schwirrt mir seit seiner Abfahrt im Kopf herum. Ich weiß nicht genau, warum ich es die ganze Zeit vor mir herschiebe, ihn anzurufen. Vielleicht weil er momentan genug am Hals hat. Oder weil ich insgeheim fürchte, dass er meinen Plan nicht gutheißt, ich mich aber nicht davon abbringen lassen werde. Trotzdem will ich mit ihm reden, seine Stimme hören. Ich will, dass er mich zum Lachen bringt. Die Heftigkeit meiner Gefühle macht mir ein bisschen Angst – eine der vielen Gefahren einer Beziehung.
Ich hole mein Mobiltelefon heraus und wähle seine Nummer aus dem Gedächtnis. Er antwortet mit dem üblichen Knurren seines Namens.
»Hier ist Kate.«
»Ich wusste, dass du es kaum noch aushältst, mich nicht anzurufen.« Seine Worte kommen leicht daher, doch etwas in seiner Stimme macht mich stutzig, ein subtiler Unterton, den ich nicht einordnen kann.
»Ich wollte dir erzählen, was wir vorhaben«, sage ich.
»Bist du weitergekommen?«
»Na ja, eigentlich nicht.« Ich berichte ihm von meinem Plan.
Angespanntes Schweigen. »Dann warst du ja ziemlich beschäftigt.«
»Es ging alles so schnell.«
»Bist du allein im Haus?«
»Skid ist in der Scheune. T.J. ist bei der Brücke, außer Sichtweite.«
»Und deine anderen Kollegen?«
»Glock und Pickles passen auf die Zooks auf, die ein paar Meilen von hier bei Freunden untergeschlüpft sind.«
»Kate, das sind nicht genug Leute.«
In dem Moment wird mir klar, dass er getrunken hat. Tomasetti kann sich gut verstellen, er ist ein großartiger Schwindler und verdient für die Hälfte seiner Auftritte einen Oscar. Aber ich kenne mittlerweile die Tonlage seiner Stimme, und ich kann zwischen den Zeilen lesen.
»Das Sheriffbüro hat zusätzliche Streifen eingesetzt«, erwidere ich. »Mehr ist nicht drin.«
»Und warum hast du mich nicht angerufen? Ich hätte helfen können.«
»Du bist beurlaubt, wenn ich mich recht erinnere.«
»Das war dir vor kurzem noch egal.«
»Hör zu, du hast momentan genug am Hals, John. Und ich hab mir das alles genau überlegt. Wir sind gut vorbereitet und organisiert. Ich glaube, wir kriegen das hin.«
»Du
glaubst
?«
»Ich bin sicher.« Doch die Worte kommen zögerlich aus meinem Mund.
»Oder vielleicht hast du mich nicht angerufen, weil du dachtest, ich würde im unpassenden Moment ausflippen und dir alles vermasseln.«
»Das war bestimmt nicht der Grund«, erwidere ich ruhig.
»Du hast gewartet, bis ich hundert Meilen weit weg bin«, fährt er aufgebracht fort. »Aus sicherer Entfernung kann ich keinen Schaden anrichten. Hast du mit deinem Team über meinen prekären Gemütszustand gesprochen, Kate? Haben sie dir in deiner Beurteilung zugestimmt?«
»Ich werde mich nicht rechtfertigen.«
»Sehr klug von dir.«
»Ich wollte dich einfach nur wissen lassen, dass wir vielleicht kurz vor einem Durchbruch stehen. Was wir gerade machen. Wie wir –«
»Du wolltest mich wissen lassen, dass du das alles auch ganz alleine schaffst!«
Seine Worte tun weh, geben mir das Gefühl, total egoistisch zu sein. Dass es hier vielleicht mehr um mich selber geht als darum, einen Mörder zu fassen. Und dass ich mich und meine Officer in Gefahr bringe, weil ich etwas beweisen will, das ich nicht beweisen muss. Doch ich verteidige mich trotzdem. »Das ist nicht wahr.«
»Schwachsinn.«
»Du hast getrunken.«
»Das schockiert dich, was?«
»Ich wollte dich nur informieren, was hier läuft.«
»Bis jetzt damit zu warten war verdammt hinterfotzig.«
»Ich kann nicht mit dir reden, wenn du so bist.«
»Ich bin immer so. Wach endlich auf.«
Die Wut überkommt mich mit solcher Gewalt, dass meine Hände zittern. »Ich halte dich auf dem Laufenden.«
»Verdammt nochmal, Kate, wie soll ich denn heute Nacht schlafen, wenn ich weiß, dass du allein in dem Haus bist?«, fährt er mich
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