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Blutige Stille. Thriller

Blutige Stille. Thriller

Titel: Blutige Stille. Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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zieht es heraus und liest es mit zusammengekniffenen Augen ab. »Dreiunddreißig Komma neun.«
    Ich rechne nach. »Also vor fünfeinhalb bis acht Stunden.«
    »Richtig.«
    Ich sehe auf die Uhr. »Wir haben jetzt sechs Uhr dreißig. Der Tod ist dann wahrscheinlich zwischen zehn Uhr letzte Nacht und null Uhr dreißig heute Morgen eingetreten.«
    »Klingt korrekt.«
    »Kann ich kurz Ihre Schere haben?«, frage ich.
    »Natürlich.« Er reicht sie mir.
    Ich schneide das Lautsprecherkabel am Handgelenk des Jungen durch und werfe es in eine zweite Beweismitteltüte. »Ziemlich starke Blutergüsse am Handgelenk«, bemerke ich.
    Der Doktor verzieht das Gesicht. »Das arme Kind hat sich gewehrt.«
    »Ich muss seine Hände eintüten, damit die Spurensicherung seine Fingernägel auf DNA untersuchen kann.« Ich blicke auf die Finger, die krallenartig versteift sind. »Hat die Totenstarre schon eingesetzt?«, frage ich.
    »Noch nicht. Die Totenstarre beginnt gewöhnlich im Gesicht, Kiefer und Hals.«
    »Und warum sind die Hände dann so?«
    »Wahrscheinlich eine kataleptische Totenstarre. Das passiert, wenn das Opfer kurz vor dem Tod extrem unruhig oder angespannt war.«
    Ich will mir das Grauen nicht ausmalen, das der Junge vor seinem Tod erlebt hat. Ich war selbst schon Opfer eines Gewaltverbrechens, doch sich das Entsetzen und die Hilflosigkeit eines Kindes vorzustellen, das mit gefesselten Händen mit ansehen muss, wie ein Familienmitglied nach dem anderen erschossen wird, und dabei weiß, dass es das nächste ist, sprengt meine Vorstellungskraft.
    Der Doktor geht hinüber zu Amos Plank. Ich weiß, meine Reaktion ist irrational, doch ich spüre eine große Abneigung gegenüber der Leiche des Vaters. Und zwar nicht wegen des Zustands seines Körpers, sondern wegen dem, was er womöglich seiner Familie angetan hat. Etwas in mir sträubt sich dagegen, dass er die gleiche ehrfürchtige Behandlung bekommt wie der tote Junge.
    »Haben Sie seine Lage verändert, Kate?«
    Ich nicke.
    »Ist er Ihr Schütze?«
    »Ich weiß es nicht. Sieht so aus.«
    »Da sich die Frage stellt, ob dieser Mann verantwortlich für die Verbrechen ist und die Zeit eine wichtige Rolle spielt, werde ich sofort die Lebertemperatur messen. Die ist wesentlich genauer, und Sie wissen eher, woran Sie mit ihm sind.« Er zieht Amos Planks Hemd hoch und entblößt seinen Unterleib.
    Obwohl schon in den mittleren Jahren, ist Amos Plank ein magerer Mann mit hervorstehenden Rippen. Kaum Körperbehaarung. Weiße Haut, die selten Sonne abgekriegt hat.
    »Sie sollten notieren, dass es keine sichtbaren Fleischwunden oder Blutergüsse am Bauch gibt.«
    »Ist vermerkt.«
    »Ich mache jetzt einen kleinen Schnitt.« Der Doktor legt seine Hand flach auf den Bauch des Toten, strafft die Haut und bringt mit dem Skalpell einen zirka eins Komma fünf Zentimeter langen Schnitt unter der letzten Rippe an. Eine dünne Linie Blut wird sichtbar, das jedoch nicht aus der Wunde tritt. Als Nächstes führt er die lange Röhre eines Digitalthermometers bis unter den Brustkorb ein.
    »Das dauert jetzt ein paar Minuten«, sagt er. »Ich mache mit der Untersuchung weiter.«
    Er legt die Hand auf den Kopf des Toten und bewegt ihn vorsichtig nach rechts und links. »Totenstarre hat in Gesicht und Hals eingesetzt. Augen sind getrübt.«
    »Können Sie schon sagen, wann Sie Zeit für die Autopsie haben?« Ich denke an die beiden Mädchen in der Scheune, will wissen, wie sie gestorben sind. Ob sie sexuell missbraucht wurden.
    »Ich verschiebe ein paar Termine und fange sofort an.«
    Als er die Hände des toten Mannes untersucht, fällt mir ein Schatten am Handgelenk der Leiche auf. Ich leuchte mit der MagLite auf die Stelle und traue meinen Augen nicht, als ich eine schwache, kreisrunde Rötung sehe.
    »Ist das ein Bluterguss?«, frage ich.
    Doc Coblentz sieht mich über die Brille hinweg fragend an, dann folgt sein Blick dem Strahl meiner Lampe. »Sieht ganz so aus«, sagt er und runzelt die Stirn.
    Noch bevor mir klar wird, was ich da tue, habe ich den Arm des Toten in der Hand, spüre das kalte Fleisch durch die dünnen Latexhandschuhe. Im grellen Licht meiner Taschenlampe ist der kreisrunde Abdruck deutlich zu sehen.
    »Das sieht genauso aus wie an den Handgelenken des Jungen«, sage ich.
    Und als würde plötzlich ein Puzzleteil passen, das ich bislang nicht unterbringen konnte, macht es
Klick
in meinem Kopf. Die Erkenntnis tröpfelt wie Eiswasser in meinen Verstand, und alles, was ich bislang

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