Blutige Stille. Thriller
Hush-Puppys, holt ein kleines Vinylkästchen aus der Arzttasche und sieht mich über die Brille hinweg an. »Zeigen Sie mir wo.«
»Drei hier im Wohnzimmer. Zwei im Hof und zwei weitere in der Scheune.« Ich bedeute ihm, mir zu folgen.
Im Wohnzimmer stößt er einen Seufzer aus, der so alt klingt, wie ich mich fühle. »Ich bin nun schon eine ganze Zeitlang Coroner, aber an den Anblick von toten Kindern werde ich mich nie gewöhnen.«
»An dem Tag, an dem Sie sich daran gewöhnen, hören Sie auf, ein Mensch zu sein«, erwidere ich.
»Oder Sie wechseln den Beruf«, wirft Glock ein.
Der Doktor kniet neben dem älteren Jungen, stellt das Kästchen neben sich. »Etwas mehr Licht wäre hilfreich.«
Die Lampen, die wir zuvor aufgestellt haben, reichen nicht für die Arbeiten eines Coroners. Ich gehe zu ihm hin und leuchte das Opfer mit meiner MagLite an.
Der Doc sieht zu mir auf, der Blick in den großen Augen hinter den dicken Brillengläsern ist äußerst beunruhigt. »Haben Sie schon Aufnahmen von den Toten gemacht?«
»Wir haben alles dokumentiert«, sagt Glock. »Sie können bewegt werden.«
Vorsichtig legt der Doktor die Hand an den Kopf des Jungen und verlagert ihn leicht. Blutverkrustetes blondes Haar wird sichtbar. Coblentz teilt es mit den Fingern und offenbart ein kreisrundes Loch von der Größe eines Bleistiftradiergummis wenige Zentimeter über dem Nacken. »Das ist die Eintrittswunde. Das Kind wurde von hinten erschossen.«
»Können Sie schon sagen, mit welchem Kaliber?«, frage ich.
»Ich kann eine Vermutung anstellen.« Er drückt mit dem Finger rund ums Loch, und ich sehe die Druckstellen des bleichen Fleisches. Blut fließt aus dem Loch und weicht wieder zurück, als er den Druck wegnimmt. »Der Größe der Wunde und dem Ausmaß der Schädelverletzung nach zu urteilen, war es wahrscheinlich eine kleinkalibrige Handfeuerwaffe. Aus nächster Nähe.«
»Geht es noch etwas genauer, Doc?«
».22er Kaliber, vielleicht .23er.«
»Neun Millimeter?«, frage ich.
»Möglich, aber sicher kann ich das noch nicht sagen.« Mit der gleichen Vorsicht, wie er ein Neugeborenes behandeln würde, dreht er den Kopf des Jungen, wobei eine rosa Flüssigkeit aus dem linken Nasenloch rinnt. »Die Austrittswunde könnte helfen, es weiter zu spezifizieren.«
Mein Blick fällt auf ein Loch im Holzboden, und mein Puls schlägt schneller. »Sehen Sie im Keller nach«, bitte ich Glock, »ob die Kugel den Boden durchschlagen hat. Ich leuchte direkt ins Loch. Wenn die Kugel glatt durchgegangen ist, können Sie das Licht sehen.«
»Bin schon weg.«
Der Doktor dreht noch einmal den Kopf des Opfers. Die linke Seite ist blaurot angelaufen. Er drückt zwei Finger in die Wangen. »Die Totenflecken sind noch nicht fest.«
»Was bedeutet das?«
»Es bedeutet, dass er mindestens vor zwei Stunden, höchstens aber vor zehn Stunden gestorben ist. Totenflecken sind erst nach zehn Stunden unveränderlich.« Noch einmal drückt er zwei Finger in das blaurote Fleisch der Wange. »Wenn ich hier drücke, wird die Haut weiß, wenn ich loslasse, weicht das Blut zurück. Wenn er über zehn Stunden tot wäre, würden die Flecken bleiben.«
»Können Sie den Todeszeitpunkt noch weiter eingrenzen?«
»Dafür muss ich die Körpertemperatur messen.« Er dreht sich um und holt eine abgerundete Schere aus dem Kästchen. Mit der sachlichen Effizienz eines Profis schneidet er Hose und Unterwäsche des Jungen auf. Der Anblick des schmächtigen, weißen Körpers ist unsäglich traurig. Er sollte leben, denke ich nur, er sollte lachen, seinen jüngeren Bruder necken und seine älteren Schwestern ärgern.
»Kate?«
Die Stimme des Doktors reißt mich aus meinen Gedanken. Er hält mir die Kleidung hin, die eingetütet werden muss. Ich rufe mich innerlich zur Ordnung, hole aus meinem Tatortkoffer in der Küche eine große Papiertüte und gehe zurück ins Wohnzimmer, wo der Doktor die Hose hineinsteckt. Ich schreibe Datum, Zeit und den Namen des Opfers aufs Etikett.
»Die Körpertemperatur fällt pro Stunde zwischen einem und eineinhalb Grad.« Der Doktor schiebt ein spezielles Hightech-Thermometer in den After des Jungen. »Das gibt Ihnen eine ungefähre Vorstellung vom Todeszeitpunkt. Wenn ich ihn im Leichenschauhaus hab und die Lebertemperatur messen kann, wird’s noch genauer.«
»Ist es möglich, dass er noch eine Weile gelebt hat, nachdem auf ihn geschossen wurde?«
»Das Kind hier war sofort tot.«
Der Timer am Thermometer piept. Er
Weitere Kostenlose Bücher