Blutige Stille. Thriller
einem Serienmörder heimgesucht wurde.
Damals habe ich John Tomasetti kennengelernt, der wesentlich zur Aufklärung der sogenannten Schlächter-Morde beigetragen hat. Der Fall war ein Albtraum, besonders für mich, wegen eines lange zurückliegenden Ereignisses, von dem niemand etwas wissen durfte. Tomasetti hatte mir da durchgeholfen. Er ist ein guter Polizist und ein noch besserer Freund, weshalb ich jetzt an ihn denke.
»Ich fordere einen Spurensicherungstrupp an.« Ich hole mein Mobiltelefon aus der Tasche. »Vielleicht finden die ja noch Haare oder Fasern.«
Die drei Polizisten nicken. Ich weiß aber auch, dass sie sich die Zuständigkeit für diesen Fall nicht streitig machen lassen werden. Das grausame Verbrechen an dieser amischen Familie hat sie aufgebracht und schockiert. Zwar wissen sie Hilfe zu schätzen, wollen aber keine Einmischung von außen.
»Chief Burkholder?«
Ich sehe hinüber zu Doc Coblentz, der neben einer der Leichen steht. Er blickt düster drein, entsetzt. Es gibt Verbrechen, die für Augen und Verstand schlecht zu ertragen sind, weshalb ich am liebsten nicht zu ihm gehen würde. Doch ich weiß, dass Informationen mein wichtigstes Werkzeug sind.
Ich stecke mein Handy zurück in die Jackentasche und setze mich widerstrebend in Bewegung. »Haben Sie etwas gefunden?«
Doc Coblentz starrt einen Moment lang auf den Boden, und mir wird klar, dass dieser altgediente Mediziner von seiner Entdeckung innerlich so aufgebracht ist, dass es ihm vorübergehend die Sprache verschlagen hat.
»So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagt er schließlich.
Mir ist bewusst, dass mein Team uns von der Tür aus beobachtet. Ich fühle mich unbehaglich, kann andere nicht gut trösten. Wobei es genauso problematisch ist, wenn jemand mich trösten will. Ich gebe dem Doktor einen Moment Zeit, bevor ich schließlich die Frage stelle, die mich quält, seit ich die toten Mädchen das erste Mal gesehen habe. »Wissen Sie, wie diese beiden gestorben sind?«
Meine Frage holt ihn zurück. »So ungefähr, aber ich habe eine Theorie.« Er blickt Glock an. »Haben Sie alles fotografiert und dokumentiert?«
Glock nickt.
Dann wendet er sich wieder an mich. »Diese beiden Mädchen haben vor ihrem Tod lange und furchtbar gelitten, Katie. Sehen Sie sich das an.«
Wir treten näher an Mary Plank heran. Sie ist etwa fünfzehn Jahre alt und hat den feingliedrigen Körper eines Mädchens, das kurz davor ist, zur Frau zu werden – kein Kind mehr und noch nicht Frau, sondern in diesem besonderen Stadium dazwischen. Wahrscheinlich hat sie noch wie ein Kind gespielt, während schon die ersten Erwachsenenträume in ihrem Kopf auftauchten. Sie war hübsch, mit einem freundlichen Gesicht. Unwillkürlich fragt man sich, wie sie war, als sie noch lebte. Lieblich. Unschuldig. Noch unbeschadet vom Leben. Ich will mir nicht vorstellen, welches Grauen diese Mädchen erlebt haben, begreife diese Brutalität nicht.
Behutsam legt er die Hand auf den Unterleib des Mädchens, zwischen Schambein und Nabel. Mit einem langen Watteträger zeigt er auf das gezackte Loch einer grässlichen Wunde, die innen rosafarben und wässrig ist. Mit einem Stück Mull wischt er das Blut weg, und dunkle Blutergüsse drum herum werden sichtbar.
»Die sauberen Linien hier lassen vermuten, dass die Verletzungen mit einem Messer oder einem anderen sehr scharfen Instrument zugefügt wurden«, sagt der Doktor.
»Er hat mehrere Male auf die gleiche Stelle eingestochen?«, frage ich.
»Nicht gestochen. Ich glaube, er hat ihre Bauchhöhle geöffnet.«
»Und warum?«
»Keine Ahnung.« Er schüttelt den Kopf. »Wer weiß schon, was im Kopf eines Mannes vorgeht, der zu solcher Brutalität fähig ist.«
»Könnte das die Todesursache gewesen sein?«
»Angesichts des vielen Blutes ist das durchaus möglich. Wahrscheinlich ist sie verblutet.«
»Hat sie noch gelebt, als er ihr die Wunde beigebracht hat?«
»Ihr Herz hat zumindest noch geschlagen. Vielleicht war sie wegen des Schocks und des Blutverlustes bewusstlos. Möglicherweise wurde sie mit Rauschmitteln betäubt, das werde ich nach der Blutuntersuchung wissen.« Er zeigt auf ihr Gesicht. »Sie wurde nicht geknebelt; glauben Sie mir, sie muss furchtbar geschrien haben.«
Ich stelle mir vor, ihre Schreie zu hören. »Warum?«, ist alles, was ich fragen kann.
»Keine Ahnung. Vielleicht wollte er eine Kugel rausholen.«
»Vielleicht.« Aber irgendetwas an der Theorie gefällt mir nicht. Man muss schon ganz
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