Blutige Stille. Thriller
ihm einen Moment, um sich zu beruhigen. »Wann haben Sie Ihre Familie das letzte Mal gesehen?«
»Vor drei Jahren, an dem Tag, als ich nach Philadelphia gezogen bin.«
»Keine Briefe? Keine Anrufe?«
»Wir hatten nie ein Telefon, also war Telefonieren nicht möglich. Ich habe einen Brief von Mary bekommen.«
Ich spitze die Ohren. »Was hat sie geschrieben?«
»Was ein Teenager halt so schreibt – wer um wen wirbt, wer heiratet, Klatsch eben.« Er lächelt. »Natürlich auf amische Art und Weise.«
»Sie hat keinen Freund erwähnt?«
Aaron zögert. »Nein.«
Ich nicke, wundere mich jedoch über sein Zögern. »Wie lange bleiben Sie in der Stadt?«
»Ich weiß es noch nicht. Ein paar Tage.«
Da ich so viel erfahren will wie möglich, lege ich einen Zahn zu. »Wie lange ist es her, dass Sie die Amisch-Gemeinde verlassen haben?«
»Kurz nach meiner
Rumspringa
. Da habe ich beschlossen, mich nicht taufen zu lassen.«
»Gab es einen besonderen Grund?«
Er senkt kurz den Blick, dann sieht er mich wieder an. »Mir war klargeworden, dass ich schwul bin.«
Das überrascht mich, und gleichzeitig wächst mein Misstrauen. Ich muss gar nicht erst fragen, wie seine Eltern das fanden. Die Amischen sind zwar im Allgemeinen tolerant, was aber nicht heißt, dass sie Aarons Homosexualität gebilligt haben. Wie das wohl für Aaron gewesen sein muss?
Sein Blick huscht zu Glock und zurück zu mir. »Ich war deswegen lange Zeit … verwirrt. Seit meiner Kindheit, glaube ich. Ich habe so getan, als sei ich wie die anderen. Ich habe verheimlicht, wer ich wirklich bin.«
Die Religion durchdringt alle Bereiche des amischen Lebens. Die meisten Amischen leben nach der
Ordnung
, eine Art ungeschriebenes Gesetz, das von Generation zu Generation weitergegeben wird und von Gemeinde zu Gemeinde variiert. Im Laufe der Zeit haben sich die Regeln verändert, und für einige bieten sie durchaus etwas Spielraum. Die eher konservativen Amischen halten sich strikt an die
Ordnung
, während die liberaleren etwas lockerer damit umgehen, Elektrizität benutzen und Auto fahren. Da ich auch in einer konservativen Familie aufgewachsen bin, weiß ich, wie schwer das Leben für jemanden wie Aaron gewesen sein muss.
»Wie haben Ihre Eltern auf die Mitteilung reagiert, dass Sie schwul sind?«, frage ich.
»Es hat ihnen nicht gefallen.« Schulterzuckend wendet er den Blick ab. »Sie haben das nicht verstanden. Meinten, dass ich pervers bin, krank.« Er lacht unlustig. »Sie wollten Enkelkinder.«
»Dann hat Ihre Homosexualität zu Problemen zwischen Ihnen und Ihren Eltern geführt?«
»Gelinde ausgedrückt.« Er sieht mich traurig lächelnd an. »Chief Burkholder, aber so verzweifelt, um so etwas zu tun, war ich nicht, falls Sie darauf hinauswollen. Das ist alles vor langer Zeit passiert, und ich habe es akzeptiert. Ich habe meine Eltern trotzdem geliebt, ich konnte einfach nur nicht so leben, wie sie es wollten.«
Seine Worte berühren eine wohlbekannte Saite bei mir. Ich verstehe ihn viel besser, als er meint. Ich weiß, was es heißt, amisch zu sein und doch nicht dazuzupassen. Zwar habe ich ihn als Verdächtigen noch nicht ausgeschlossen, doch mein Mitgefühl ist groß.
»Wo waren Sie in der Nacht, als die Morde verübt wurden?«, frage ich.
»Zu Hause.«
»Wo ist das?«
»Ich habe ein Haus gemietet. In Philadelphia.«
»Kann das jemand bezeugen?«
»Mein Partner, Rob Lane, war einen Teil des Abends bei mir.«
»Und den Rest?«
»War ich allein.«
»Wie können wir Mr Lane kontaktieren?«
Plank rattert zwei Telefonnummern herunter, die Glock aufschreibt.
»Erzählen Sie mir von der Beziehung zu Ihren Eltern«, fordere ich ihn auf.
Er zuckt mit den Schultern. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Nachdem ich ihnen gesagt hatte, dass ich schwul bin, haben sie irgendwie … zugemacht. Zuerst haben sie so getan, als hätte sich nichts verändert. Sie haben für mich gebetet.«
»Was war der Auslöser, dass Sie es ihnen gesagt haben?«
»Ich habe Rob kennengelernt. Da wurde mir klar, dass ich mich nicht mehr ändern würde. Und ich habe die Behauptung meiner Eltern hinterfragt, dass mit mir etwas nicht stimmt.«
»Wie haben Sie Rob kennengelernt?«
»Er war in Lancaster County herumgereist, um ein Buch über die Amischen zu schreiben. Er ist aus Philadelphia, und ich habe ihn zufällig in der Stadt getroffen. Ich weiß, es klingt abgedroschen, aber nach ein paar Minuten mit ihm hatte ich das Gefühl, wir kennen uns schon unser
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