Blutige Stille. Thriller
gesagt, dass sie den Mund halten solle.«
»Wahrscheinlich. Er hat sie irgendwie davon überzeugt, dass das besser wäre. Und sie hatte ja auch allen Grund, ihren Eltern nichts zu erzählen, so wie die auf Aarons Schwulsein reagiert haben.«
Tomasetti blättert das Tagebuch durch, dann legt er es zurück auf den Schreibtisch. »Hast du schon eine Art Profil von dem Freund?«
»Er ist ein Englischer, älter als Mary, zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig, charmant. Er hat sie manipuliert und kennt sich aus mit Rauschmitteln. Vielleicht ist er auch Amateurfotograf.«
»Fotograf?«
»Er hat Fotos von ihr gemacht.«
Er zieht die Augenbrauen hoch. »Meinst du Pornos?«
»Möglich. Er scheint ihr Drogen gegeben zu haben, sie schreibt darüber, aber sicher ist das nicht.«
»Hast du im Internet nach Bildern recherchiert?«
»›Heiße amische Girls‹ habe ich nicht gegoogelt, falls du das meinst.«
»Genau das meine ich. Die Leute haben alle möglichen seltsamen Fetische: Nonnen, Füße, Peitschen, Ketten.« Er zuckt die Schultern.
Daran hätte ich wirklich selbst denken müssen. Ich wähle T.J.s Nummer. Er nimmt nach dem ersten Klingeln ab. »Möglicherweise hat Mary Planks Freund pornographische Fotos von ihr gemacht. Vielleicht hat er sie auch ins Netz gestellt. Ich möchte, dass Sie sich da ein bisschen umsehen. Fangen Sie mit den großen Suchmaschinen an, checken Sie die Pornoseiten. Vielleicht werben sogar welche mit amischen Mädchen.«
»Nur damit ich das auch richtig verstehe: Sie wollen, dass ich im Internet Pornoseiten ansehe? Puh, das wäre das erste Mal.«
»Und hoffentlich auch das letzte.«
Er stöhnt. »Okay, ich mach’s.«
Ich lege auf und sehe John an. Sein Blick ist so durchdringend, dass ich ihm kaum standhalten kann. Geschweige denn ihn lesen. Ich spüre, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt. Ein innerer Konflikt, den ich nicht einordnen kann.
»Erzähl mir von dem Bruder«, sagt er.
Ich gebe ihm eine Zusammenfassung dessen, was ich über Aaron Plank weiß. »Er lebt jetzt in Philadelphia, hat auch einen Partner dort.«
»Böses Blut zwischen ihm und seinen Eltern?«
»Er sagt nein.«
»Was soll er auch anderes sagen, wo seine ganze Familie tot ist.«
»Es gibt eine Person, die mir eventuell mehr über die Familiendynamik sagen kann.«
Tomasetti hebt die Augenbrauen.
»Ihr Bischof in Lancaster County«, fahre ich fort. »Ich warte auf seinen Rückruf.«
»Ist sicher einen Versuch wert.« Er nickt. »Sonst noch was?«
»Glock recherchiert gerade über Verbrechen, die aus Hass begangen wurden.«
»Irgendwie schwer vorstellbar, dass jemand die Amischen hasst.«
»Trotzdem gibt es das. Leider werden die Vorfälle oft nicht gemeldet.«
»Von was für Vorfällen sprichst du?«
Ich zucke die Schultern. »Manche Leute haben was gegen die Buggys, weil sie langsam sind und den Verkehr aufhalten. Oder sie halten die Amischen für dumm. Manche setzen Pazifismus mit Feigheit gleich.« Ich schüttele den Kopf. »Ich hab schon gesehen, wie Buggys von der Straße abgedrängt wurden oder Leute die Pferde mit Steinen beworfen haben, um sie scheu zu machen. Und ich habe gehört, dass Teenager mit Feuerwerkskörpern auf die Pferde geschossen haben. Es gibt eben Menschen, die mögen die Religion nicht.«
»Oder sie hassen sie einfach, um zu hassen.«
Wieder starrt er mich an. Das dürfte mir eigentlich doch gar nicht so viel ausmachen, immerhin war ich doch schon mit diesem Mann im Bett. Er hat mich in seinen Armen gehalten. Geküsst. Mit mir geschlafen. Und doch winde ich mich jetzt unbehaglich unter seinem Blick, drehe den Stuhl hin und her und sehe aus dem Fenster, weiß nicht, was ich sagen oder gar fühlen soll.
»Wie geht es dir so, Kate?«
»Gut. Viel Arbeit.« Die Antwort kam ein bisschen zu schnell, seine Anwesenheit macht mich nervös, und er weiß das. Ich drehe mich wieder zu ihm hin. Es ist jetzt zwei Monate her, seit ich ihn zuletzt gesehen habe, aber es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. »Und was ist mit dir?«
»Ich rette die Welt.« Er lächelt. »Genieße das gute Leben.«
Ich nicke, glaube ihm kein Wort. »Wie lang kannst du bleiben?«
»Bis der Fall abgeschlossen ist.«
Ich will ihn fragen, ob er der Sache gewachsen ist, weiß aber, dass ihn die Frage nur aufbringen würde. Ich bewundere und respektiere Tomasetti. Und da ist noch mehr, wenn ich ehrlich sein soll. Aber er ist in den letzten zweieinhalb Jahren durch die Hölle gegangen, ein leidgeprüfter Mann
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