Blutige Stille. Thriller
der Bierflasche. Er hat schöne Hände, stark und mit Schwielen, und lange Finger mit kurzgeschnittenen Nägeln. Es kostet mich einige Mühe, gegen die Erinnerung anzukämpfen, wie sich diese Hände auf meiner Haut anfühlen …
»Ich will nicht, dass du aus Angst um mich deinen Job riskierst«, sage ich.
Er nimmt das Killian’s und trinkt einen Schluck. »Ich bin hier, weil ich das so will.«
»Um zu arbeiten.«
Seine Mundwinkel gehen hoch. »Richtig.«
Aus der Jukebox tönt jetzt Claptons »Cocaine«. Ich frage mich, ob der Alkohol John Tomasettis Kokain ist – und John Tomasetti meins.
»Ich fürchte, als Stütze in allen Lebenslagen bin ich nicht besonders gut«, sage ich.
»Du bist besser, als du glaubst.« Er lächelt. »Besser als mein Therapeut.«
Ich sehe ihn über mein Bier hinweg an. »Und wie willst du mit all dem hier klarkommen?«
Er hebt sein Bier und sieht mir in die Augen. »Wir machen einfach einen Schritt nach dem anderen und schauen, was passiert.«
17 . KAPITEL
Es gibt komplizierte und weniger komplizierte Fälle, und das liegt nicht daran, dass der eine Täter cleverer wäre als der andere. Die Ermordung der gesamten Plank-Familie ist so ein Fall, der genauso komplex zu werden droht wie die DNA -Analysen, die zur Aufklärung beitragen sollen. Denn die Tat hat noch einmal jenen Teil meiner Vergangenheit ans Licht gezerrt, den ich seit siebzehn Jahren im Dunkeln halten möchte. Wobei mir immer klar war, dass ich mich eines Tages damit auseinandersetzen muss.
Auf der Fahrt zum Revier denke ich an die Entscheidungen, die ich als Vierzehnjährige getroffen habe, und die Dämonen, die daraus entstanden sind. Tomasetti hat seit dem Verlassen der Bar nichts mehr gesagt. Das Schweigen ist bedrückend, doch immer noch besser als zu reden. Ich glaube, er sieht das auch so. Zumal es weniger gefährlich ist. Ich bin wirklich keine Expertin, was Männer betrifft, aber ziemlich sicher, dass er die Nacht mit mir verbringen will. Und ich weiß nicht, ob ich standhaft genug bin, um zu widerstehen, wenn er mich drängt.
Es ist fast zweiundzwanzig Uhr, als Tomasetti den Tahoe vor dem Revier auf den Besucherparkplatz lenkt und den Motor abstellt. Die Hände auf dem Lenkrad, starrt er geradeaus. »Komm mit mir ins Motel.«
Die Verlockung ist groß, denn er ist ein einfühlsamer Liebhaber, und es wäre so leicht, mich für ein paar Stunden zu vergessen. Wie gern würde ich meinen Wankelmut dem Alkohol zuschreiben, doch meine Zerrissenheit hat komplexere Ursachen als meinen wodkavernebelten Verstand. Das macht mir Angst, denn ich bin ziemlich sicher, dass ein Orgasmus nicht beruhigend auf meine Gefühle wirken würde.
»Ich kann nicht.« Ohne ihn anzusehen, weiß ich, dass sein Blick auf mir ruht.
»Ich frage mich immer noch, ob wir …«
»Vielleicht ist das das Problem. Wir haben noch nicht geklärt, wie wir zueinander stehen.«
»Wir haben eine Beziehung«, sagt er.
Jetzt sehe ich ihm in die Augen. »Basierend worauf?«
»Gegenseitigem Respekt. Bewunderung.« Er lächelt. »Klasse Sex.«
»Und was ist mit Freundschaft?«, frage ich. »Vertrauen?«
»Das auch.«
In dem Moment weiß ich, dass ich aussteigen muss, weil es sonst zu spät ist. Ich stoße die Tür auf. »Ich muss gehen.«
Er ergreift meinen Arm. »Gib uns eine Chance.«
»Das tue ich.« Ich steige aus, beuge mich zu ihm hinab und blicke ihn an. »Wir sehen uns morgen.«
***
Ich gehöre zu den Menschen, die wenig Schlaf brauchen, was ein Vorteil ist, da ich an Schlaflosigkeit leide und trotzdem funktioniere. Doch im Moment weiß ich nicht, ob der Fall oder Tomasetti mich wach halten. Wahrscheinlich beides.
Jedenfalls war ich zu angespannt, um nach Hause zu fahren, habe Mona von meinem Auto aus angerufen und mir die Infos über Jack Warner geben lassen, Todd Longs Alibi. Ihm gehört die Backwoods Construction Company, eine kleine Firma, die sich auf den Entwurf und Bau von Blockhäusern spezialisiert hat. Er ist geschieden, hat keine minderjährigen Kinder und keinen Eintrag im Strafregister – nicht einmal wegen zu schnellen Fahrens. Ich mache mir keine großen Hoffnungen auf irgendwelche wichtigen Informationen. Trotzdem muss das Alibi überprüft werden, und wenn ich schon nicht schlafen kann, kann ich wenigstens arbeiten.
Inzwischen ist es zweiundzwanzig Uhr dreißig, und ich sitze seit einer halben Stunde in meinem Auto vor Warners Haus. Bei meiner Ankunft hatte ich an der Tür geklingelt, aber niemand hat
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