Blutige Verfuehrung 1
von ihm. Doch Ikarus dachte nicht daran auszuziehen. Er fuhr mit dem LKW für seine Eltern nach Griechenland, um Einfuhren für den Laden zu machen. Deshalb war er oft abwesend. Wenn er dann wieder kam, war er ein angenehmer Mitbewohner, der immer dafür sorgte, dass frische Lebensmittel im Haus waren. Sofern er sie nicht im Großmarkt abstaubte, bediente er sich im Laden seiner Eltern. Dass er deshalb kaum einmal seine Miete zahlte, war ein anderes Problem. Außerdem liebte Ikarus es, selbst zu kochen. Seine Moussaka war das Lieblingsgericht der gesamten WG, wenn danach die Küche auch einem Schlachtfeld glich, das alle außer Ikarus wieder saubermachen mussten. Auch ich hatte schon davon gegessen und ihn entsprechend gelobt.
Mareike stand auf und sagte:
"Komm mal mit, ich zeige dir dein neues Schlafgemach!" Wir gingen zusammen in Richtung Bad, daneben war der kleine Abstellraum, den ich für die nächsten paar Nächte als Schlafraum benutzen konnte. Mareike öffnete die Tür und ließ mich hineinschauen. Ich traute meinen Augen kaum. Sie hatte es geschafft, die zwei Regale bis auf ein paar Weinflaschen komplett auszuräumen und meine Hängematte dazwischen aufzuhängen. Ein paar Kissen und eine Felldecke lagen bereits in der Hängematte, es sah richtig gemütlich aus. Sie nahm den Schlüssel aus dem Schloss und steckte ihn auf der Innenseite wieder ein.
"Siehst du", sagte sie mit einem schelmischen Blick, "du kannst einfach abschließen und ganz für dich sein, wenn du willst.
"Vielleicht will ich das ja wirklich", antwortete ich nicht gerade überzeugend. "Doch jetzt will ich einmal kurz Probe liegen", sage ich zu Mareike und schiebe sie sanft aus der Besenkammer. Dann hole ich mir meine Tasche mit der Zeitung und verkrieche mich damit in die Hängematte. Der Artikel über den Toten im Hotel ist schon aufgeschlagen. Ich überfliege ihn und kalter Schweiß bricht mir aus. Sie schreiben, dass er der Sohn eines Großindustriellen ist, der als Alleinerbe die Firma des Vaters hätte übernehmen sollen. Er hatte mich also angelogen. Achim war stinkreich und wollte in eine WG einziehen. Das passte alles nicht zusammen. Dann war in dem Artikel auch noch die Rede von einer jungen Frau, die er mit auf sein Zimmer genommen hatte. Es folgte eine Beschreibung, die ziemlich genau auf mich passte, und der Aufruf, dass sich diese Frau bei der Polizei melden sollte. An diesem Abend hatte ich meine Haare aufgesteckt und damit sah ich sehr erwachsen aus. Sie hatten mich deshalb auch wesentlich älter geschätzt. Mit meiner offenen Mähne würde man mich nicht erkennen. Das gelbe Top musste ich jedenfalls verschwinden lassen. Die Polizei hatte auch einen großen Ohrring gefunden und der sollte eine Spur zu der Frau, die mit Achim zuletzt zusammen gewesen war, aufzeigen. Da konnte ich nur lachen. Diese Ohrringe gab es wie Sand am Meer und ich hatte sie an einem Stand auf der letzten Tollwood erstanden. Der zweite steckte noch in meiner Hosentasche, aber ich musste ihn ins Klo hinunterspülen. Dann fiel mir ein, dass die beiden Typen Ferdl und Bruno meinen Vornamen kannten. Doch auch das konnte die Polizei nicht wirklich weiter bringen. Wahrscheinlich hatten sie ihn schon wieder vergessen, schließlich waren sie stockbetrunken gewesen. Während des Lesens hatte ich die Luft angehalten und mein Herzschlag hatte sich bestimmt verdoppelt. Doch nachdem ich den Artikel auch ein zweites Mal gelesen hatte, beruhigte ich mich wieder. Ich war den ganzen Weg vom Hotel bis zu mir nach Hause stundenlang kreuz und quer durch die Stadt gelaufen. Niemand hatte mich unterwegs erkannt, da ich ja Achims Kapuzenjacke getragen hatte. Außerdem war es mitten in der Nacht gewesen. Auf viele junge Frauen in München würde die Beschreibung passen und ich hoffte, dass sich Ingeborg nicht bei der Polizei meldete und eine genauere Schilderung über mich abgab. Aber selbst dann mussten sie mich erst noch finden. Meine Großmutter hatte keine Ahnung bei wem ich untergetaucht war und sie würde bei der Suche keine große Hilfe sein. Ich schwang mich wieder aus der Hängematte und trottete in die Küche, wo alle WG-Insassen beisammen saßen.
"Habt ihr noch ein Glas Wein für mich?", fragte ich und setzte mich neben Lucky. Er machte etwas Platz auf der Eckbank, aber nur so viel, dass ich mit ihm noch Körperkontakt hatte. Mareike holte eine große Kaffeetasse aus dem Schrank.
"Wir haben keine Weingläser mehr, aber das geht doch auch?", fragte sie und
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