Blutige Verfuehrung 6
Reh, das mit den Beinen schlug und am Kopf und Hals stark blutete. Silvio betrachtete den Schaden am Auto, und ich ging mit Nicholas zu dem blutenden Tier. Wir zogen es von der Fahrbahn. In diesem Augenblick war es mit meiner Beherrschung vorbei. Dem Geruch des frischen Blutes konnte ich nicht widerstehen. Ohne Nicholas weiter zu beachten, beugte ich mich über das Reh und trank aus seinem Hals das frische Blut. Es war das erste Mal, dass ich mich an einem Säugetier vergriff, wenn man davon absah, dass ich schon einmal eine Katze ausgesaugt hatte, doch das war lange her. Ich fühlte, wie sich das Blut in meinem Körper verteilte und mich wieder fit machte. Nicholas stand noch immer neben mir und als ich zu ihm aufsah, bemerkte ich, dass seine Augen in der Dunkelheit diesen metallischen Glanz bekamen, der allen Vampiraugen eigen ist. Er schob den Unterkiefer nach vorne und sein Gesichtsausdruck verriet Ekel, aber gleichzeitig Interesse. Als ich mich erhob, ging er einen Schritt zurück. Meine Kleidung war mit Blut verschmiert und auch meine Hände, mit denen ich das zuckende Tier festgehalten hatte, zeigten Blutspuren. Ich wischte sie an meiner Hose ab und ging zurück zum Auto. Silvio war bereits eingestiegen und als ich mich neben ihn setzte sagte er:
"Musste das sein? Bist du so durstig, dass du dich auf das Erstbeste stürzt, das dir über den Weg läuft?" Er hatte gut reden. Mein Blutdurst war so stark gewesen, dass ich ihn nicht mehr länger unterdrücken konnte. Meine Stimme klang zorniger als beabsichtigt, als ich ihm antwortete:
"Kümmere dich um deine eigenen Sachen. Wenn du aufgepasst hättest, dann wäre der Unfall nicht passiert."
Nicholas saß inzwischen wieder hinter mir. Er hatte kein Wort gesprochen, doch jetzt sagte er:
"Tierblut oder Menschenblut, das ist dir wohl völlig egal?" Ich zuckte nur mit den Schultern. In mir zog sich alles zusammen, denn seine Kritik traf mich viel tiefer als er sich vorstellen konnte. Ich hatte ihn zum Vampir gemacht, aber würde er jemals begreifen, dass ich alles aufs Spiel gesetzt hatte und er mir dadurch auch sein Leben verdankte? Ich hätte ihm antworten können, dass der Tag an dem er mich verstehen würde, nicht mehr so weit war.
Im Augenblick schien er noch in einer Zwischenwelt gefangen zu sein, die ihm das Vampirdasein als unmöglich erschienen ließ. Das war bei mir auch einige Zeit so gewesen, bis ich mich mit meinen neuen Bedürfnissen endgültig abgefunden hatte. Meine Hoffnung, dass Nicholas aus Liebe zu mir zum Vampir werden würde, hatte sich nicht erfüllt. Mir lief allmählich die Zeit davon. Selbst jetzt, wo er die Wandlung hinter sich hatte, war es unwahrscheinlich, dass er mich doch noch wollte und sich in unseren Clan einfügen würde.
Wenn wir zurück waren, würde Alfonso wieder vor mir stehen und auf eine Antwort auf seinen Antrag drängen. Er war in mich verliebt und mein Vater würde alles dafür tun, dass ich mich mit ihm vermählte. Es gab keine Zweifel, dass ich eine schwierige Entscheidung vor mir hatte.
Wir gingen zusammen den Weg zum Schloss hinauf. Die kleine Stadt schlief schon und die Touristen, die tagsüber Gradara bevölkerten, waren bereits abgereist. Es war gespenstisch ruhig und als wir in den Innenhof des Schlosses kamen, standen dort mein Vater und seine beiden Frauen sowie Lucrezia und einige weitere männliche Vampire, die gespannt auf unsere Ankunft warteten. Ich war überrascht, dass man uns einen so großen Empfang bereitete. Doch ich täuschte mich, es war kein freundlicher Empfang, wie ich gehofft hatte. Mein Vater ging auf mich zu und packte mich grob am Arm:
"Was hast du dir dabei gedacht, einfach zu verschwinden? Jetzt wo bereits die Vorbereitungen für deine Hochzeit laufen!" Nicholas, der neben mir stand, ignorierte mein Vater völlig. Ich befreite mich von seinem Griff und sagte:
"Du siehst doch, dass ich einen Besuch mitgebracht habe. Ich muss mich jetzt erst frisch machen, bevor ich dir Rede und Antwort stehe. Außerdem möchte Nicholas seine Schwester sehen. Wo ist sie?" Das war etwas viel für meinen Vater. Eine steile Zornesfalte erschien auf seiner Stirn.
"Das Flittchen interessiert mich nicht und ich weiß auch nicht wo sie ist.", sagte er in abfälligen Ton. Ich nahm Nicholas bei der Hand und sagte zu ihm:
"Lass uns erst einmal nach oben gehen, hier herrscht heute dicke Luft!" Doch Nicholas blieb wie angewurzelt stehen. Ich fühlte, dass sich eine größere Auseinandersetzung anbahnte. Er ging
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