Blutige Vergeltung
bereits. Die Welt hatte sich in eine Ansammlung von Kanten verwandelt, die allesamt zu scharf waren, um echt zu sein. Alle meine Sinne arbeiteten auf Hochtouren und erreichten langsam den roten Bereich.
Shens Gesicht verzerrte sich erneut, glättete sich wieder, verknitterte abermals. Die Prellungen in ihrer Aura zogen sich wie eine Faust zusammen. Ich beobachtete sie und wartete ab. Wenn Shen über das normale Maß hinaus wütend auf Perry war oder meinte, vor ihren Handlangern und Klienten das Gesicht wahren zu müssen, würde die Situation gleich sehr ungemütlich werden.
„Du bist ganz allein, Jägerin. Und wir sind Hunderte.“ Die schwarzen Haarstränge schmiegten sich aneinander, quietschten, als Shen sprach. Helletöng ließ den Boden erzittern, dröhnte gegen meine Sohlen.
„Das stört mich wenig.“ Und ich klang sogar überzeugend. „Ich habe in einer Nacht schon mehr getötet, als in deinem Esszimmer versammelt sind, Shen.“ Ich machte eine Pause. „Hey, Trader. Ich hab dir doch gesagt, dass du ihn tragen sollst!“
Die Frau, die ihre Seele verkauft hatte, quiekte, als hätte man sie gezwickt, und machte sich daran, zu gehorchen. Ich richtete beide Pistolen auf Shen. Wir könnten es hier talsächlich aufrecht rausschaffen. Gepriesen sei die Jägerin mit dem Pokerface und ihrer Gabe, auf den Tisch zu hauen!
Shen machte zwei weitere Schritte auf mich zu. Der Stoff ihres Kimonos bewegte sich eigenartig über ihrer unteren Hälfte, die Seide spannte sich ächzend. „Sie werden diesen Ort nicht mehr lebend verlassen“, versprach sie, und die von der Hölle Gezeichneten um mich herum rückten näher. Ein kollektives Knurren erhob sich, Helletöng ließ die Wände beben.
Ach, jetzt ziehen wir also solche Saiten auf? Fest hielt ich die Pistolen in beiden Händen. „Raus mit dir, Irene. Und zwar behutsam. Falls er stirbt, bist du die Nächste.“ Ich wartete, bis ich hörte, dass sie sich in Bewegung setzte. Carp lag in ihren dürren, totenbleichen Armen und gab ein nicht näher definierbares Jammern von sich. Ihre purpurnen Satinhandschuhe waren nun blutbesudelt. Das alles nahm ich aus dem Augenwinkel heraus wahr. Mein Herz klopfte noch immer cool und gleichmäßig, beide Waffen waren nach wie vor auf die Herrin des Kat Klubs gerichtet. „Willst du also mit harten Bandagen kämpfen, Shen?“
Unter diesem altmodischen Kimono lebte nichts Menschliches. Die Narbe kribbelte, eine Vielzahl heißer Nadeln schien sich in mein Handgelenk zu graben, und auf einmal wurde die Welt wieder sehr still, Klarheit legte sich über jede Ungereimtheit. Die Schlangenmenschen auf der Bühne fuhren in ihrer Einlage ungerührt fort, Gelenke knackten und Pailletten klirrten.
„Ergreift sie!“, flüsterte Shen An Dua. Aber keiner der Versammelten, ob Höllenbrut oder Trader, rührte sich.
Anscheinend konnte sie in diesem Moment nicht einmal die Angst vor ihrer Herrin dazu bringen, sich auf mich zu stürzen. Wenn das kein Kompliment war!
Ich bleckte die Zähne. Mein ganzer Körper entspannte sich und ließ sich treiben, die absolute, erschreckende Gewissheit, dass Gewalt nicht mehr zu vermeiden war, ließ kein Zaudern mehr zu. „Na los“, wisperte ich. Ich spannte die Unterarme an, meine Muskeln standen hervor, als ich den letzten Widerstand gegen den Abzug niederdrücken wollte.
Plötzlich durchschnitt eine neue Stimme das Innere des Klubs – scharf und sauber, auch wenn sie mit einem breiten texanischen Akzent daherkam: „Himmel Herrgott noch mal! Was zum Teufel ist denn hier los?!“
Um ein Haar wäre ich zusammengezuckt. Vor Erleichterung wurden mir beinahe die Knie weich, und meine Einschätzung der Situation wurde umgehend von einem Oh mein Gott, das überlebe ich niemals! zu einem Gott sei Dank, ich muss nicht alleine sterben!
Mit einer langsamen Bewegung wie von einem Servomotor mit geölten Kugellagern fuhr Shens Kopf herum. Noch immer zielte ich mit beiden Waffen auf sie. Einmal hatte ich zugesehen, wie sie einem Trader die Eingeweide herausgerissen und sich eine doppelte Handvoll nasser Innereien in ihren prallen kleinen Liebesapfel-Mund gestopft hatte.
Nach solchen Erlebnissen ist man als Jägerin auf der Hut. Vor allem, wenn man bedenkt, dass ich vorgehabt hatte, besagten Trader wegen eines gewissen Bordells voller teurer, minderjähriger Sexsklaven zu befragen – zu gut erinnerte ich mich an Shens unergründliches Lächeln, während ihr menschliche Gedärme aus dem Mund hingen. Man könnte also
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