Blutige Vergeltung
als die Party schon vorbei war und die Werwesen wieder weg waren. Dafür waren die Lagerhallen das reinste Schlachtfeld: Die Schiebetüren waren völlig verdellt, als hätte man von innen mit einem gigantischen Hammer dagegengehauen. Der Geruch von Fell und purer Wut überdeckte den Übelkeit erregenden Scurfgestank nach süßlicher Fäulnis. Sogar Leon war blass geworden, während wir den Tatort sicherten und uns gegenseitig Deckung gaben.
Hier war nichts mehr am Leben. Die Werwesen hatten ganze Arbeit geleistet, und ich konnte sehen, wo der Kampf besonders verbissen geführt worden war. Hoffentlich hatte niemand sonst sterben müssen.
„Hm.“ Leon senkte seine Rosita. „Sieh sich das einer an.“
In der Nähe der Schiebetüren war der Schleim nur dünn verteilt – von hier aus verlief ein Abstellgleis etwa dreißig Meter weit bis zu einem Verschiebebahnhof. Eine der Türen stand zur Hälfte offen. Wir schlüpften hinaus in die Kälte und untersuchten die Gleise.
Sie waren nicht brandneu, aber sie sahen noch benutzt aus. Unsere Bücke trafen sich, und Leon presste die Lippen fest aufeinander. Wir rutschten zurück in die Lagerhalle, und er hielt Rosita so, dass sie geradewegs zur Decke zeigte, den Mund leicht geöffnet, um dem Gestank wenigstens ein bisschen zu entgehen. „Denkst du, was ich denke, Darling?“
Ich deutete mit dem Finger darauf. „Pferche, um sie einzusperren? Hierdurch könnte man sie nach draußen treiben … Zumindest wenn man dumm genug ist. Aber wozu? Und wo zum Teufel sind die Werwesen? Wenigstens eines oder zwei sollten noch hier sein, um auf verirrte Scurf zu warten – oder auf mich.“
Leon nickte, und sein dunkles Haar fiel ihm ins Gesicht. „Ja. Und schau mal hier!“
In einem Teil des zertrümmerten Warenlagers waren mehrere Metallgatter, der Maschendraht war völlig zerlegt worden – mein Blick fiel auf eine Reihe von Haken, an denen kleine schwarze elektrische Viehtreiber hingen. Einige waren abgerissen worden.
„Oh Gott“, flüsterte ich und spürte, wie die Übelkeit in mir aufstieg.
„Ganz genau. Das hier geht auf jeden Fall als ein beschissen großes Problem durch.“ Leon schüttelte sich wie ein Pferd, das eine Schlange witterte. „Was zur Hölle geht hier vor?!“
Ich berührte einen der Viehtreiber, nahm ihn von seinem Haken. Als ich auf den Knopf drückte, fing das untere Ende an zu knistern. Ein höllischer Zauberstab war das. „Jetzt wird es langsam gruselig. Wo sind die Werleute? Ein paar sollten wirklich noch hier sein.“
Leon zucke mit den Schultern. „Lass uns ein bisschen die Gegend durchforsten, wenn wir hier alles untersucht haben. Vielleicht …“ Aber man konnte sich die ganze Situation nicht weniger seltsam reden. Keiner von uns sprach aus, was uns wirklich durch den Kopf ging.
Das muss ein Gefängnis gewesen sein.
Die Untersuchung des restlichen Gebäudes verlief ereignislos. Es waren drei miteinander verbundene Lagerhallen – ein L-förmiger Albtraum. Als Nächstes würden wir uns den hinteren Teil des L vornehmen. Sogar auf dem Dach hatten wir pulvrigen Schleim gefunden.
Warum hat man nicht mehr Leute als vermisst gemeldet? Bei so vielen Scurf hätte man doch was merken müssen, hätten die Menschen am laufenden Band verschwinden müssen! Es sei denn, man hat die schon fertigen Scurf von anderswo in rauen Mengen hergebracht – aber wie hat man sie gefüttert? Scurf können nicht ohne Hämoglobin existieren, sonst fängt ihr Gehirn an zu verrotten.
Am Ende einer wackeligen, halb eingebrochenen Treppe, die weder mich noch Leon ausgehalten hätte, war das ehemalige Büro des Vorarbeiters. Leon steckte Rosita weg und hievte mich ächzend mit einer Räuberleiter bis zu einem Fenstersims hinauf. Hätte man in den Rahmen jemals Scheiben eingesetzt, hätte ich mir die Finger bis auf die Knochen zerschnitten. Diesmal zahlte sich schlampige, billige Arbeit also doch für jemanden aus.
Ich brauchte einen Moment, um mich in das Büro hochzustemmen. Hier oben gab es kaum Licht, die wenigen in die Decke eingelassenen Neonröhren, die noch heil waren, brummten wie Helletöng aus einem Mund voll abgebrochener Zähne.
Auch von dem Büro war wenig mehr als ein Haufen Trummer übrig, und in den billigen, halb verfaulten Gipskartonwänden waren tiefe Klauenabdrücke zu sehen. Werklauen – und andere. Wenn man erst einmal eine Weile damit zu tun hat, ist es leichter, Krallenabdrücke voneinander zu unterscheiden, als normale Leute glauben
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