Blutige Vergeltung
nicht zerstört, aber jede der Käfigtüren stand offen. Die hier waren nicht extra verstärkt, so wie die anderen. Am Ende gab es eine weitere Schiebetür, und auf einer Seite hingen weitere Elektroschocker.
Gegenüber von den Käfigen standen riesige Industriekühlschränke, auf deren glänzenden Chromwänden Scurfschleim klebte … und Blut. Das Scurfpulver lief knisternd in dünnen Schlieren über feuchtklebrige Handabdrücke und Kringel aus menschlichem Lebenssaft. Ich wusste zwar, wofür Kühlschränke dieser Größe benutzt wurden, aber trotzdem konnte ich nicht anders, als eine der Türen vorsichtig zu öffnen. Leon und Rosita gaben mir Feuerschutz.
Regale über Regale voller Blutkonserven. Leichen, die wie Rinderhälften sachte hin- und herbaumelten, als ich sie berührte. Jede Kühleinheit beinhaltete etwa zwanzig Tote, die fein säuberlich an Haken hingen und in raschelndes Plastik gehüllt waren – und jeder einzelne mit braunem Hautton, über dem das Grau des Todes lag. Als ich näher trat, konnte ich erkennen, wo mit großer Sorgfalt das Gewebe entfernt und die Organe entnommen worden waren – die Bauchhöhle und der Brustkorb waren mit chirurgischer Präzision geöffnet worden. Der restliche Körper war nur noch reine Muskelmasse, die entsorgt werden konnte. Man hatte sie ausgeweidet, wahrscheinlich, um an das Knochenmark zu kommen.
„Was ist das denn?“ Leon hatte Probleme, das alles zu begreifen.
Und mir ging es nicht anders. „Wahrscheinlich sind das alles illegale Immigranten. Laut den Lieferscheinen oben im Büro hat man sie von coyotes über die Grenze schmuggeln lassen. Ganze LKW-Ladungen. Man fährt sie bis zu einem Bahnhof und schleust sie dann ein. In den Pferchen mit den Türen da drüben hält man sie dann gefangen. Mit Sicherheit werden wir hier auch so was wie einen OP finden …“
„Wozu?“
„Organspende, und zwar eindeutig unfreiwillige. Die Scurf vertilgen dann die Reste. Die hat man in den anderen Käfigen gehalten. Höllenbrütler haben ihre Finger mit im Spiel – und Cops. Die Organe bringt man dann zu einem Flugplatz, ungefähr zwanzig Meilen weit in der Wüste, wenn mich die Benzinrechnungen, die ich gefunden habe, nicht täuschen. ÄRA steht darauf. Sollte nicht allzu schwer zu finden sein.“
„Hm.“ Er stellte seine nächste Frage gar nicht erst, weil er wusste, dass ich sie ohnehin gleich beantworten würde.
„Um reiche Leute zu versorgen, die nicht wie alle anderen auf ein Spenderorgan warten möchten.“ Erneut wollte mein Magen rebellieren. Jeder Plastiksack bedeutete ein Leben, verflucht – das Leben von jemandem, der den amerikanischen Traum so unbedingt verwirklichen wollte, dass ihm jedes Mittel recht war, um über die Grenze zu kommen. Wären sie nicht hier gelandet, dann wahrscheinlich in irgendwelchen Knochenjobs ohne jede Perspektive. Trotzdem hätten sie sich bis aufs Blut aufgearbeitet, um sich über Wasser zu halten. Als Zimmermädchen, Bauarbeiter, Erntehelfer, Gärtner oder Handlanger in Autowaschanlagen – all die Jobs, für die sich Leute meiner Hautfarbe entweder zu fein waren oder für die sie andere nicht anständig bezahlen wollten.
Und dann endete es also auf diese Art. Ausgenutzt und abgeschoben, aufweiche Weise auch immer – menschliche Wesen, die man auf den Wert von leeren Bierdosen reduziert hatte.
„Aber warum ausgerechnet Scurf?“ Leon lief es kalt den Rücken herunter. „Da muss noch mehr dahinterstecken. Muss einfach.“
„Um die Beweise verschwinden zu lassen? Außerdem ist es ein guter Weg, mich zu beschäftigen und von ihren Machenschaften abzulenken. Vor allem, wenn mich der Drahtzieher sowieso auf dem Kieker hat.“
„Und die Cops, die dich töten wollen?“
„Wer das auch sein mag, wahrscheinlich haben die Dämonen davon gar nichts gewusst. Wären die Höllenbrütler eingeweiht, dann hätten sie diesen Polizisten gesagt, dass sie Silberkugeln benutzen müssen – und ich wäre bei wesentlich schlechterer Gesundheit.“ Nun lief es mir selbst kalt den Rücken herunter. „Lass uns den Rest überprüfen und dann zusehen, dass wir hier rauskommen.“
„Geht klar, Süße.“
Das Durchforsten der übrigen Kühlschränke kostete uns nur wenige Minuten und etwas Übelkeit. Als wir fertig waren, war Leon eindeutig grün um die Nase, und mir ging es nicht viel besser.
Ich trat aus dem letzten Kühltresor heraus, und mein Blick fiel auf den Pferch gegenüber, dessen Gatter offen stand. Das Schloss war
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