Blutiger Freitag
Washington. Als Dixon ihm von seinem Plan erzählt hatte, hatte Patrick nur ganz cool gefragt, ob sie auf dem Rückweg in Wisconsin vorbeikommen würden. So, als wäre das schon Grund genug. Dass sie einfach mal vorbeischneien und „Hallo“ zu seiner Mutter sagen könnten. Aber wenn es nicht klappt, ist das auch kein Problem.
Das war Patrick. Zurückhaltend, reif und überlegt, ein Fels in der Brandung. Dixon nannte es langweilig. Rebecca nannte es zuverlässig, und das mochte sie an Patrick. Selbst wenn sie manchmal nicht so ganz sicher war, welche Motive dahintersteckten. Jemand Zuverlässiges um sich zu haben war ein gutes Gefühl. Mit Patrick zusammen zu sein war ein gutes Gefühl. Auch wenn sie das vor sich selbst nicht zugeben wollte.
Sie waren Freunde geworden, als sie bei Champs gegenüber der Uni gejobbt hatten. Patrick hatte an der Bar gearbeitet und Rebecca als Serviererin. Sie war noch zu jung, um den Gästen alkoholische Getränke zu bringen, und wenn es nicht genug Serviererinnen gab, die das „richtige Alter“ hatten, sprang Patrick für sie ein, auch wenn an der Bar gerade die Hölle los war.
Geduldig, freundlich, liebenswürdig ... sehr verdächtig.
Ziemlich merkwürdig – oder vielmehr ziemlich traurig, dass sie so etwas verdächtig fand. Vor allem anfangs. Jetzt nicht mehr so sehr. Neben Dixon gehörte Patrick zu ihren besten Freunden. Ihre Mutter hielt es für anormal, dass sie nur männliche Freunde hatte.
„Gehst du denn mit den Jungs ins Bett?“, hatte sie sich erkundigt. Als Rebecca ihr versicherte, dass dies „absolut nicht“ der Fall war, schien sie nur noch erstaunter darüber.
„Du bist doch nicht lesbisch, oder?“, war dann ihre nächste Frage, wonach sie schnell hinzufügte: „Nicht, dass es mir was ausmachen würde.“
Die vergangenen drei Jahre hatte Rebecca beobachten müssen, wie ihre Eltern sich mit jedem Streit weiter auf die Scheidung zubewegten. Kaum waren die Papiere unterschrieben, heiratete ihr Vater eine Kollegin, die er angeblich gerade erst kennengelernt hatte. Und ihre Mutter konterte prompt mit einer Schwemme von Liebhabern. Rebecca selbst diente die Beziehung ihrer Eltern als warnendes Beispiel. Sie war entschlossen, sich nur auf ihre Zukunft zu konzentrieren. Und die würde sie sich weder von ihren unfähigen Eltern noch von irgendeinem Freund verderben lassen. Schließlich war ihre Zukunft ihr einziger Fluchtweg.
Sowieso waren Tiere die einzigen Lebewesen, auf die man sich verlassen konnte. Ganz besonders Hunde. Sie zu heilen und zu retten, darin sah Rebecca auch ihre eigene Rettung. Sie wusste, dass ein Tiermedizinstudium einen langen anstrengenden Kampf bedeutete, aber sie war bereit, dafür zu schuften. Um vielleicht eines Tages ihre eigene Klinik zu besitzen. Das und einen Haufen Hunde, ein paar Pferde und auch einige Katzen. Ihre Mutter hatte ihr nicht mal erlaubt, einen kleinen Hund in der neuen Wohnung zu halten. Aber das war in Ordnung. Auf diese Weise hatte Rebecca schnell und schmerzlos ihre Sachen packen und ins Studentenwohnheim ziehen können. Manchmal war es besser, für niemand verantwortlich zu sein. Und niemand zu haben, der einen aufhielt und von der Erfüllung des großen Traums ablenkte.
Als ihre Mutter sie gefragt hatte, ob sie an Thanksgiving nach Hause käme, hätte Rebecca beinahe geantwortet, dass sie kein Zuhause besaß. Aber das hätte ihre Mutter nicht verstanden. Und sie wäre todsicher dagegen gewesen, dass Rebecca mit Dixon und Patrick durchs halbe Land reiste. Also hatte sie gelogen.
Nein, es war eigentlich keine richtige Lüge.
Sie hatte einfach geantwortet, dass ihr Vater sie eingeladen hatte, Thanksgiving mit ihm und seiner neuen Familie zu verbringen. Das stimmte auch. Er hatte sie eingeladen, sie auf ihrer Luxusreise nach Jamaika zu begleiten. Es war nicht Rebeccas Schuld, dass ihre Mutter das nicht nachprüfte, dass sie eher Feuer schlucken als mit ihrem Exmann reden würde.
Als Rebecca zu ihrem Tisch zurückkehrte, entdeckte sie, dass Patrick für jeden eine Zimtschnecke bestellt hatte. Dixon rutschte ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her. Offensichtlich hatte er schon loslegen wollen, aber Patrick hatte darauf bestanden, mit dem Essen auf ihre Rückkehr zu warten.
Gut erzogen war er also auch noch.
Rebecca lächelte, als sie Andy Williams „Eil be home for Christmas“ singen hörte. Die Leitung des Centers musste wohl die gleiche Weihnachtslieder-Kollektion haben wie Dixon.
„Please have snow and
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