Blutiger Frühling
liegt.«
»Dummes ... Zeug!« Der Alte versuchte sich aufzurichten, aber es gelang ihm nicht, und er ließ sich wieder in die Kissen zurücksinken. »Gott will vielmehr, dass wir ... handeln ...«, fügte er keuchend hinzu. »Es ist an der Zeit, dass nach seiner ... reinen Lehre ... verfahren wird ...«
Anna Elisabeth schaute ihm besorgt ins Gesicht. »Vater«, bat sie ängstlich, »du musst wirklich versuchen, jetzt ein wenig zu ruhen. Wie willst du dich denn sonst erholen?«
Doch der Alte ließ sich nicht beirren. »Weck den Michel und lass ihn ... nach dem Hannes laufen«, forderte er, und diesmal klang in seiner Stimme der altgewohnte Befehlston mit. »Jetzt ... sofort!«
»Aber der Hannes wird schlafen«, wandte Anna Elisabeth ein.
»Nicht ... wenn ich ihn rufen lass ...«, keuchte der Alte und maß seine Tochter mit einem sehr lebendigen, funkelnden Blick. »Folge, Kind ... !«
Anna Elisabeth zitterte jetzt vor Angst. So hatte sie ihren Vater noch nie erlebt. Sie erhob sich von dem Schemel an der Bettkante, ging zur Tür und rief nach dem Jungen: »Michel ... hier herauf!«
Es dauerte keine drei Herzschläge, bis der Junge die Stiege heraufgerannt kam. »Ja, Annelies?«, fragte er erschrocken.
»Hol mir den Hannes«, trug sie ihm auf, »er soll sofort kommen – der Vater verlangt nach ihm!«
Michel rannte die Stiege wieder hinab. Anna Elisabeth konntehören, wie unten die Haustür ins Schloss geworfen wurde. Die kleine Gertrud, die im Wohnraum neben dem Herd geschlafen hatte, kam schlaftrunken an den Fuß der Stiege getappt. »Brauchst du mich, Annelies ...?«
»Nein, Kleines – leg dich nur wieder hin.« Es hatte ja keinen Sinn, das Kind zu beunruhigen und um seinen Schlaf zu bringen.
Gertrud verschwand wieder. Anna Elisabeth wandte sich ihrem Vater zu. »Warum soll der Hannes kommen, Vater – um diese nachtschlafende Zeit? Kann das, was du ihm sagen willst, denn nicht doch bis morgen warten?«
Der Alte schüttelte den Kopf. »Nein ...«, murmelte er kaum hörbar, »wenn die Sonn aufgeht ... werd ich ... nit mehr da sein ...«
Anna Elisabeth erschrak von neuem – und diesmal bis ins Herz. »Aber jetzt hörst du auf, mich zu ängstigen, Vater«, sagte sie mühsam beherrscht. »Es ist nicht freundlich von dir, mir solche Furcht einzuflößen!«
»Fass dich«, widersprach der alte Mann und widmete Anna Elisabeth einen halb strengen, halb wehmütigen Blick. »Du bist alt genug, um ohne mich zurechtzukommen. Wirst es leicht schaffen ... weil du aus ... gutem Holz geschnitzt bist ...«
»Schon, Vater – aber noch bist du ja bei mir. Also, was soll der Hannes hier?« Anna Elisabeth hatte immer größere Mühe, ruhig zu bleiben.
»Er muss hören, was ... ich zu sagen hab«, flüsterte der Alte. »Er soll sich sputen ... es eilt ...«
Unten ging die Haustür. Anna Elisabeth erkannte Hannes Rebmann an seinem schweren, ungelenken Tritt. Der kleine Michel war daneben kaum zu hören.
»Komm herauf«, rief Anna Elisabeth die Stiege hinab.
»Da bin ich, Vater«, sagte Hannes, als er ans Bett des Alten getreten war, »was soll ich für Euch tun?«
»Rache ...«, wisperte Anna Elisabeths Vater mit heiserer, kaumnoch vernehmbarer Stimme. »Ich will ... dass du Rache nimmst ... für alle, die der Abt von Kaltental ... aufm Gewissen hat...«
Hannes brauchte einen Augenblick, bis er den Sinn dieser Worte verstanden hatte. Dann nickte er. »Wir alle haben uns das schon geschworen«, sagte er bedächtig, »alle jungen Männer aus den Dörfern, die zum Kloster gehören. Braucht uns darum nicht zu mahnen, Vater ...«
»Sie haben uns ... seit Menschengedenken ausgeplündert ...«, wisperte der alte Mann und heftete seinen plötzlich wild funkelnden Blick auf Hannes Rebmann. »Nun ist’s Zeit ... dass alles anders wird ...« Er streckte seinem zukünftigen Schwiegersohn die abgezehrte Hand entgegen. »Der Bauer steht auf... im Land ...«, stieß er hervor, »hab’s gehört von den andern ... die mit mir im Loch saßen ...«
»Recht, Vater«, sagte Hannes, »macht Euch keine Sorgen. Der Bauer will sich nun nicht mehr ducken lassen. Werdet nur Ihr recht bald gesund – dann sollt Ihr’s erleben!«
»Gesund?«, der alte Mann verzog das Gesicht zu einem hohlwangigen Grinsen, so dass sein hageres Antlitz beinahe einem Totenkopf ähnelte. »Meine Zeit ... ist um ... Hannes. Knie nieder ... du auch, Annelies ... !«
Er winkte mit der Rechten, brachte fast noch so etwas wie eine herrische Geste zustande. Ohne
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