Blutiger Frühling
nachzudenken kam Hannes Rebmann der Aufforderung nach, während Anna Elisabeth zögerte.
»Auch du ... Tochter«, wiederholte der Alte mit Nachdruck.
Anna Elisabeth ließ sich neben Hannes Rebmann auf die Knie nieder. Ihr Vater senkte seine knochige Rechte auf ihren Scheitel. Die Linke legte er auf Hannes’ schlichten blonden Schopf. »Meinen Segen ... gebe ich euch, Kinder ...«, sagte er mit tonloser, atemlos klingender Stimme. »Ihr sollt eins sein ... wie ich es beschlossen habe ... vor langer Zeit ...«
Er musste Atem schöpfen, brauchte einen Augenblick, bevorer weitersprechen konnte. Anna Elisabeth hob den Kopf, so dass seine Hand von ihrem Haar abglitt. »Vater, was soll das?«, fragte sie entsetzt. »Warum tust du das – mitten in der Nacht?«
»Schweig«, befahl der alte Mann ungerührt. »Ich gebe dir, Hannes Rebmann, meine einzige Tochter ...«, fuhr er fort. »Was mein ist, soll dein sein ... Annelies’ Erbe gehört dir ... sobald ich ... die Augen schließe ...« Er holte tief Atem. »Schwör ... dass du es treulich ... verwalten wirst ...«
»Das schwöre ich, Vater«, sagte Hannes ernst. »Sorge dich nicht. Aber du sollst noch lange leben ...«
Der Alte schien ihm nicht zugehört zu haben. »Du, Anne- lies«, flüsterte er mit schwindenden Kräften, »du sollst dem Hannes untertan sein ... sollst ihm das Haus treulich führen ... schwör auch du ... mein Kind ...«
»Aber Vater!« Anna Elisabeth sprang vom Boden auf und starrte ihn wild an. »Was tust du mir denn an? Noch lebst du ja, und es gibt nicht den geringsten Grund, warum du jetzt schon deinen Nachlass verteilen solltest –«
»Annelies ...« Der alte Mann versuchte sich aufzurichten. Er streckte ihr seine dürre Hand entgegen. »Ich will, dass du ... dass du ...«
Er rang nach Luft. Sein Mund öffnete sich weit – ein pfeifender Ton kam über seine dünnen Lippen. Sein Blick irrte von ihrem Gesicht ab und wanderte zu Hannes, der noch am Boden kauerte. »Ich will ...«, wiederholte er mühsam, »ich will ...«
Ganz plötzlich brachen seine Augen. Er sackte in sich zusammen, sein Kopf rollte zur Seite, und kein Atemzug hob mehr seine Brust. Es dauerte mehrere Herzschläge, bis Anna Elisabeth begriffen hatte, dass ihr Vater die Welt der Lebenden verlassen hatte.
Er war gestorben – einfach so. Sie ließ sich neben seinem Lager auf die Knie sinken, bettete die Stirn auf die Bettkante und begann lautlos zu weinen. Sie nahm kaum wahr, dass Hanneswieder aus dem Haus ging. Erst nach einer langen Weile war sie in der Lage, sich zu erheben, die Totenkammer zu verlassen und all die Arbeiten in Angriff zu nehmen, die jetzt getan werden mussten.
Gertrud half ihr, den Toten zu waschen und in sein Leichenhemd zu kleiden. Als die Nachbarinnen, von Hannes hergeschickt, in Anna Elisabeths Haus eintrafen, war das bereits geschehen. Gemeinsam legten sie den Hausvater auf das hergeschaffte Totenbrett und schafften ihn in die Wohnstube hinunter, wo er aufgebahrt wurde. Sie warteten schweigend auf den Pfarrer, der, geführt von einem der Nachbarskinder, schon sehr bald erschien und den Toten aussegnete. Doch danach waren Anna Elisabeth, der Michel und die kleine Gertrud wieder allein im Trauerhaus.
Langsam tröpfelte die Zeit dahin. Das Kind unterhielt das Feuer auf dem Herd, für das der Michel immer wieder die nötigen Scheite hereinschaffte. Anna Elisabeth bereitete für sie alle eine dünne Hafersuppe. Kurz vor Mittag kam Hannes Rebmann, und mit ihm erschien eine Schar von etwa dreißig Mann – alle zu einem längeren Fußmarsch angetan und mit selbst gefertigten Waffen ausgerüstet.
»Er wollte Rache«, sagte Hannes, »und es soll nach seinem Willen gehen.« Die Männer, die mit ihm gekommen waren, bekundeten ihr Einverständnis durch finstere Blicke und unverhohlen geballte Fäuste.
»Was habt ihr vor?«, fragte Anna Elisabeth mit zitternden Lippen.
»Noch heute lässt der Klostervogt Federn«, knurrte der Schweineheinz, der gleich hinter Hannes stand und seine Waffe, eine auf einen langen Stecken montierte Sichel, mit knochiger Faust gepackt hielt.
»Er soll genau die Kälte spüren, wie die Männer im Loch sie gespürt haben«, sagte der Schmiedejörg grimmig.
»Aber danach wollen wir ihm zum Tanz aufspielen, dass ihm ordentlich warm werden soll«, ergänzte Hans der Sackpfeifer aus dem Nachbardorf. Die anderen lachten und schwenkten ihre Sensen, Dreschflegel und auf Stangen aufgesetzten Haumesser.
»In ein paar Stunden sind wir
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